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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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ich. »Wie soll ich da einen Hinweis auf den Verbleib
einer Götzenstatue finden?«
    Lisa Adolphi zog das Buch näher an sich heran. Ich
befürchtete schon, sie wolle es schließen und gehen, doch
stattdessen las sie die betreffende Stelle noch einmal. »Er
spricht ganz eindeutig von der Eifel, die man ja früher
latinisiert Eiflia nannte«, meinte sie.
    »Schön und gut«, sagte ich, »aber da steht
nirgendwo etwas von einem Götzenstandbild. Oder sehen Sie das
anders?«
    »Nein, aber wenn in diesem Text tatsächlich ein Hinweis
versteckt sein soll, muss er sich wohl in der Passage befinden, die
auf die persönlichen Erfahrungen des Autors Bezug
nimmt.«
    »Es sei denn, wir haben es mit einem Code zu tun. Es
könnte ja auch sein, dass wir für die Lösung nur jeden
vierten Buchstaben oder nur jeden fünften oder jedes zweite Wort
nehmen dürfen.«
    Lisa Adolphi sah mich nachdenklich an. Jetzt hatte eindeutig die
Neugier in ihr gewonnen. »Das glaube ich nicht«, sagte sie.
»Keiner der Buchstaben ist irgendwie gekennzeichnet und wo
sollte es einen Schlüssel für ein solches Abzählsystem
geben?« Sie blätterte in dem Buch herum. »Das
wäre zu vage.«
    »Aber was ist es dann?«, fragte ich. »Die Passage,
die wir gelesen haben, ergibt für mich keinen schlüssigen
Sinn.«
    Lisa Adolphi blätterte wieder zum Gott Somniferus
zurück. »Es war irgendwo in einem Kloster, denn sonst
hätte er nicht von dem Abt und den Patres gesprochen«,
sagte sie. »In einem Kloster in der Eifel.«
    »Wie viele Klöster mag es hier geben?«, fragte ich
nachdenklich.
    Sie zählte einige auf: »Himmerod, Mariawald,
Springlersbach, Steinfeld, Maria Laach, Prüm und noch viele
andere. Es könnte in jedem davon gewesen sein.«
    Vorn, in der Nichtraucherecke, standen drei ältere Damen auf;
offenbar hatten sie ihren Kaffeeklatsch beendet. Sie wären mir
nicht aufgefallen, wenn sie nicht plötzlich miteinander zu
tuscheln begonnen hätten. Ich sah zu ihnen herüber und
bemerkte, dass sie mich anstarrten. Mir wurde unwohl. Ob sie mich
erkannt hatten? Doch dann gingen sie zur Garderobe und halfen sich
gegenseitig in die Mäntel. Sie verabschiedeten sich von der
Kellnerin und waren verschwunden. Ich sah, wie sie draußen am
Fenster vorbeigingen – langsam, ins Gespräch vertieft.
Nichts daran war unnormal. Unnormal war nur meine Angst.
    Ich wandte mich wieder dem alten Buch zu. Lisa bestellte sich
einen Orangensaft. Erst als ich den Blick von den schwarzen
hakenkralligen Lettern abwandte, bemerkte ich, dass sie mich
musterte. Ich wurde wieder einmal rot.
    »Was machen Sie eigentlich so?«, fragte sie
»Beruflich, meine ich.«
    Ich erzählte ihr recht verlegen von meiner hoffnungslosen
Schriftstellerei, aber anstatt mich auszulachen, hörte sie
interessiert zu.
    »Ich bewundere Schriftsteller«, sagte sie
schließlich sehr ernst. »Sie schaffen Welten, von denen
wir normale Menschen erst dann erfahren, wenn sie gedruckt vorliegen.
Mich fasziniert der Gedanke, wie viele Welten die Schriftsteller ihr
eigen nennen können – besonders dann, wenn sie nicht einem
Massenpublikum zur Verfügung stehen. Ich finde, ein von zu
vielen Leuten gelesenes Buch ist wie ein zertretener Garten. Man
erkennt, dass er einmal schön gewesen sein muss, als er noch
jungfräulich war, aber durch die übermäßige
Beanspruchung ist er hässlich und ordinär
geworden.«
    »Das haben Sie wunderbar gesagt«, meinte ich und
fügte leiser hinzu: »So gut hätte ich es gar nicht
ausdrücken können.«
    »Na, junger Mann, stellen Sie Ihr Licht mal nicht unter den
Scheffel.«
    Ich fühlte mich wie unter einem Seziermesser. »Wenn
Sie… wenn Sie wollen, kann ich Ihnen einmal…« Weiter
kam ich nicht, denn meine Stimme ging in einem rabenhaften
Krächzen unter. Ich war es nicht gewohnt, in Gegenwart junger,
schöner Frauen zu sprechen. Höchstens in Gegenwart junger,
hübscher Fantasiegebilde.
    »Oh, gern, ich würde mich freuen, einmal etwas von Ihnen
zu lesen.« Ich schien für sie ein offenes Buch zu sein.
Dieser Gedanke trug nicht gerade zu meiner Beruhigung bei.
    »Und… und… was machen Sie so?«, stotterte ich.
Solange sich das Gespräch noch um objektive Themen gedreht
hatte, war ich halbwegs sicher gewesen, doch diese Wendung, die ich
halb ersehnt und halb befürchtet hatte, war einfach zuviel
für mich.
    »Ach, längst nicht so etwas Interessantes. Ich bin
Architektin.«
    »Aber… aber das ist doch auch faszinierend.« Ich
kam mir unsäglich lächerlich vor.
    Sie

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