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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Verfassers mit den
Angaben in seiner Akte. Er rümpfte leicht die Nase, als ekle ihn
das Buch an. Es verströmte tatsächlich einen
merkwürdigen Geruch, der mir bisher nicht aufgefallen war. Die
Warnung Harders vor diesem Band kam mir wieder in Erinnerung.
    Der Filialleiter unterbrach meine Gedanken: »Es ist alles in
Ordnung. Hier ist Ihr Schlüssel.« Er reichte mir einen
Safeschlüssel, den ich rasch ergriff und in die
Außentasche meiner Windjacke steckte. Dann gab er Lisa das Buch
zurück; es schien, als sei er froh, es wieder losgeworden zu
sein.
    »Können wir uns jetzt den Inhalt des Safes
ansehen?«, fragte ich ungeduldig.
    »Aber natürlich. Sie müssen nur noch den Erhalt des
Schlüssels quittieren.« Er schob mir einen kleinen Zettel
und einen billigen Kugelschreiber hinüber. Als ich unterzeichnet
hatte, sagte er: »Frau Winter wird Sie nach unten zu den
Schließfächern begleiten.«
    Frau Winter war offensichtlich die füllige Dame, der ich mein
Anliegen zunächst unterbreitet hatte. Sie bat Lisa Adolphi und
mich, ihr zu folgen, öffnete eine unscheinbare Tür in der
Edelholzverkleidung der Wand und schloss dahinter eine schwere
Sicherheitstür auf, die wahrscheinlich auch in Fort Knox
imposant gewirkt hätte. Automatisch ging eine Reihe von
Neonröhren flackernd an und tauchte den Raum abwechselnd in
grelles Licht und tiefste Dunkelheit, bis sich das Licht stabilisiert
hatte und brummend eintönig wurde. Frau Winter ging zielstrebig
zu einem kleinen Safefach im hinteren Teil des großen Raumes,
steckte ihren eigenen Schlüssel in eines der länglichen
Türchen, mit denen die Wände übersät waren, und
bat mich, nun meinen Schlüssel in das Schloss unmittelbar
daneben einzuführen. Ich gehorchte ihr; das Türchen schwang
einen Spaltbreit auf und sie zog ihren Schlüssel wieder ab.
    »Ich lasse Sie jetzt allein«, sagte sie. »Wenn Sie
wieder hinauswollen, schellen Sie einfach. Die Klingel befindet sich
rechts neben der Tür.«
    Ich hörte kaum, wie sie sich entfernte und die Tür
hinter sich zuzog. Ich sah nur das offen stehende Schließfach.
Kurz drehte ich mich zu Lisa Adolphi um und sah mit Genugtuung, dass
auch sie jetzt sehr gespannt und neugierig war. Ich holte ein
Blechkästchen aus dem Schließfach und stellte es auf den
kleinen Tisch in der Mitte des fensterlosen Raumes. Wir setzten uns
nebeneinander auf die beiden Stühle, die den Rest der
Einrichtung bildeten.
    Ich öffnete die Schatulle.
    Ein Brief lag darin, adressiert an mich, in der krallenartigen
Handschrift meines Onkels. Ich riss ihn auf und gemeinsam mit Lisa
las ich die gestochen scharfe, altertümliche Handschrift.
     
    Mein über alles geliebter Neffe!
    Wenn Du diesen Brief liest, bedeutet das, dass du es geschafft
hast, an das Buch zu kommen und meinen alten Konkurrenten Adolphi
auszubooten. Was für ein Spaß! Geschieht dem alten Eber
recht! Also, das Buch ist in Deinen Händen. Und damit nicht nur
Deine Verfügungsgewalt über mein Vermögen, sondern
auch über einen noch viel größeren Schatz. Hast Du
geglaubt, die halbe Million und das Haus, mit denen ich Dich
geködert habe, seien alles? Nein, es warten noch weitaus
größere und aufregendere Reichtümer auf Dich,
wenn… ja, wenn Du Dir die Mühe machst und
weiterliest.
     
    An dieser Stelle hielt ich inne. Lisa war inzwischen wohl genauso
weit gekommen und machte ihrem Ärger über die Beschimpfung
ihres Vaters Luft. »Dieser gemeine Wicht! Sie haben ja eine
nette Familie, Herr Weiler!« Aber außer dieser Wut lag
noch etwas anderes in ihren Augen.
    Neugier.
    Ich sah es mit Freude. Wir lasen gemeinsam den langen Brief
weiter.
     
    Dieses unglaublich seltene Buch, das Du da bei Dir hast –
achte gut auf es!! –, behandelt die gesamte römische
und in Teilen auch die griechische Mythologie. Was das Werk so
interessant macht, ist der Umstand, dass der Autor Philipp Camerarius
Gottheiten aufzählt und beschreibt, von denen man sonst kaum
etwas weiß. Er hatte damals Zugang zu einmaligen Dokumenten,
die inzwischen verlorengegangen sind; die genaue Geschichte braucht
dich nicht zu interessieren. Im Folgenden geht es nur um eine
einzige Gottheit, die Camerarius – und nur Camerarius – mit
einiger Ausführlichkeit beschreibt. Ich hatte zwar aus anderen,
teilweise recht obskuren Quellen Abschriften über diesen Gott
und seinen Kult, doch ich habe sie verbrannt; in meiner Bibliothek
findet sich also keine Spur mehr von ihm. Es handelt sich um
Somniferus, was soviel heißt wie

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