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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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bin es doch nur«, sagte ich schnell.
    »Wo bist du?«, fragte sie schwach.
    »Hier, direkt vor dir.«
    Ich streckte noch einmal die Hand aus. Wieder dieser Stoff. Das
musste Lisas Jacke sein. Nun hielt sie meinem Griff stand. Ich zog
sie an mich, umarmte sie und spürte, wie sie in meinen Armen
zitterte. Was hätte ich darum gegeben, ihr jetzt in die Augen
sehen zu können. Ich streichelte ihr über den Rücken
und sie ließ es geschehen. Dann strich ich sanft mit der Hand
über ihr Haar.
    Sie atmete tief durch und sagte: »Da war etwas an der
Wand.«
    »Etwas an der Wand?«, fragte ich
verständnislos.
    »Ich habe nach einem Lichtschalter gesucht«,
flüsterte sie; inzwischen hatte sie sich wieder in der Gewalt.
»Und da habe ich in etwas Weiches, Klebriges gegriffen. Es hat
pulsiert; ich habe es genau gespürt.« Sie unterdrückte
einen Laut des Ekels. »Hier ist noch jemand im Raum. Nichts wie
weg hier. Komm, lass uns die Tür suchen.«
    Sie machte sich von mir los und ich hörte, wie sie sich etwas
von mir entfernte. Ich tastete mich zurück zur Wand und hoffte,
dass es diejenige war, in der sich die rettende Tür befand.
Vorsichtig ließ ich die Hände über den rauen Putz
gleiten und dachte daran, was Lisa vorhin zu erfühlen geglaubt
hatte. Ich hatte nicht die geringste Lust, ebenfalls in eine solche
Masse zu packen, doch es blieb mir nichts anderes übrig, als
mich langsam an der Wand entlang zu bewegen. Meine Fingerspitzen
waren die einzige Verbindung zur Welt des Wirklichen.
    Aber ich fand keine Tür.
    Zuerst hatte ich geglaubt, es wären Lisas Atemzüge, aber
sie waren es nicht. Sie waren zu tief, zu dunkel. Ich blieb wie
gefroren stehen. Fast glaubte ich einen stinkenden Atem zu riechen,
aber bestimmt waren es nur Essensreste aus dem Spind oder der
Spüle. Aber – wenn es doch etwas anderes war? Ich wagte
nicht, mich zu bewegen.
    »Lisa?«, krächzte ich, doch ich hatte ihren Namen
so leise ausgesprochen, dass ich selbst ihn mehr mit meinem inneren
als mit meinem äußeren Ohr hörte. Es kam keine
Antwort.
    War das überhaupt noch der dunkle Raum, in den wir geflohen
waren? Fast schien es eine unterirdische Höhle zu sein.
Hörte ich nicht von irgendwoher ein Tröpfeln? Bestimmt kam
es aus der Spüle. Aber der Hall? Es klang, als stünde ich
in einem riesigen Felsendom.
    Da endlich fiel ein Lichtbalken auf den Boden. Einen Augenblick
lang glaubte ich, dass es ein feuchter Steinboden sei, doch diese
Vision verschwand rasch und ich sah auf Teppichboden hinab. Der
Lichtbalken wurde breiter. Jetzt erkannte ich die offen stehende
Tür und den hellen Lagerraum dahinter. In der Tür stand
eine dunkle Person. Ich konnte nur ihre Silhouette erkennen. Die
Tür war jetzt ganz geöffnet und zum ersten Mal sah ich
beinahe den gesamten Raum, in dem wir gefangen gewesen waren. Er war
erstaunlich klein, eigentlich nur eine bessere Abstellkammer.
    »Komm schon, nichts wie weg hier«, zischte die
Silhouette.
    »Sollten wir nicht anderswohin fliehen?«, fragte ich
besorgt.
    »Wohin denn? Sieh dich doch um. Der Aufenthaltsraum hat
keinen anderen Ausgang.«
    Ich drehte mich kurz um. Es stimmte. Die einzige Tür war
jene, in der Lisa nun stand. Doch als ich einen letzten Blick in
diesen finsteren Raum warf, sah ich etwas, das mir das Blut in den
Adern gefrieren ließ.
    Es war neben dem halb offen stehenden Schrank, in dem sich der
blaue Kittel noch immer schwach bewegte. Es war ein Schatten. Ein
riesiger Schatten. Ein unförmiger Schatten. Ein entfernt
menschenähnlicher Schatten, dessen Kopf jedoch in einer
schwarzen Wolke verschwand und dessen Arme in riesigen,
schlangenartigen Tentakeln ausliefen.

 
18. Kapitel
     
     
    Nachdem Lisa die Tür wieder geschlossen hatte, hockten wir
uns hinter einige Bücherkartons. »Hast du das auch
gesehen?«, wisperte ich.
    »Was?«
    »Na, diese… diesen Umriss.«
    Sie schaute mich verständnislos an.
    »Ich meine diese Gestalt in dem Raum hinter uns. Hast du sie
nicht bemerkt?«
    Ich sah, wie Lisa schluckte. Sie räusperte sich, dann meinte
sie: »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
    »Zum Beispiel von dem, was du da drinnen berührt
hast.«
    »Das wird nur ein nasses Handtuch oder so etwas gewesen
sein.«
    »Bist du sicher?«
    »Wir müssen uns überlegen, wie wir hier
rauskommen«, sagte Lisa, die offenbar nicht mehr über ihre
Erlebnisse in dem dunklen Raum reden wollte.
    »Die Polizei wird die Eingänge bewachen«, gab ich
zu bedenken, »und hier sind wir auch nicht sicher, denn

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