Somniferus
Wir müssen
vorsichtig sein.«
Jetzt sah auch ich die graue Stahltür, die aus dem Lager
hinausführte. Wir schlichen uns an sie heran und legten das Ohr
an den kalten Stahl. Hinter ihr schien alles still zu sein.
Wir sahen uns schweigend an. Natürlich hatten wir dieselben
Gedanken: Wartete hinter dieser Tür eine Polizeischwadron auf
uns? Waren wir geliefert, wenn wir sie zu öffnen versuchten?
Und wieder war es Lisa, die die Initiative ergriff. Sie packte die
schwere Klinke, drückte sie vorsichtig hinunter, zog zaghaft an
der Tür. Sie schwang leicht nach innen. Schwärze leckte
durch den schmalen Spalt in das Lager. Lisas Bewegung gefror.
Ich hatte es auch gehört.
Etwas hatte sich in der Schwärze vor uns geregt. Es war nur
sehr leise gewesen, geradezu verstohlen, sanft.
»Sollen wir da wirklich reingehen?«, fragte ich
Lisa.
Sie zuckte mit den Schultern und war anscheinend genauso
unschlüssig wie ich selbst. Doch die Entscheidung wurde uns
abgenommen.
Die Tür zum Verkaufsraum weit hinter uns wurde geöffnet.
Wir stürzten voran in die Dunkelheit, zogen die Tür rasch
zu und lehnten uns gegen die Wand daneben. Wir wagten kaum zu atmen.
Schritte dröhnten auf uns zu. Laute Schritte. Ich spürte,
wie mein Herz gegen den Brustkorb anraste.
»Polizei!«, dröhnte es durch die Halle nebenan.
Wir hörten, wie ein paar schwere Kartons über den Boden
geschoben wurden, dann kamen die Schritte näher. Immer
näher. Auf die Tür zu, hinter der wir uns versteckt hatten.
Kurz vor der Tür hielten die Schritte inne.
»Hallo?«
Die Tür öffnete sich. Ein Lichtbalken fiel über den
Boden des Raumes und beleuchtete einen Tisch, auf dem Bücher
lagen, einige durcheinandergeworfene Stühle, einen alten
Schrank, dessen Tür halb offen stand und in dem sich etwas
bewegte. Der Polizist tastete an der Wand neben sich herum; offenbar
suchte er einen Lichtschalter. Wir befanden uns auf der anderen Seite
der Tür. Wenn er nur zwei oder drei Schritte in den Raum
hereinmachte, waren wir verloren.
Er fand keinen Lichtschalter. Dafür holte er von irgendwo
eine Taschenlampe her, schaltete sie ein und richtete den Strahl auf
den offen stehenden Schrank. Was sich dort leicht bewegte, war nur
ein blauer Kittel, der in einem schwachen Luftzug zitterte. Der
Polizist brummte etwas und ließ dann den Lichtkegel seiner
Lampe durch den Raum streifen. Bücherkartons, eine Spüle,
eine Kaffeemaschine und allerlei in der Kürze unerkennbare Dinge
wurden aus der Finsternis herausgeholt und wieder in sie
zurückgestoßen.
Schließlich schaltete der Polizist die Lampe aus und rief
nach hinten in den hellen Lagerraum hinein: »Hier ist keiner.
Sie müssen woanders sein.« Er schloss die Tür wieder
und ging fort. Schwach hörten wir, wie die Tür zum
Verkaufsraum zugezogen wurde. Dann kehrte Stille ein. Wir waren in
der Dunkelheit wieder allein.
Allein?
Wieso hatte sich der blaue Kittel in dem halb offen stehenden
Schrank bewegt? Hier gab es doch keine Fenster – woher also kam
der Luftzug? War kurz zuvor jemand an dem Schrank
vorübergegangen?
»Lisa?«, flüsterte ich, »Lisa?«
Alles blieb still. Ich hörte ihr Atmen nicht mehr. Aber ich
hörte, wie sich etwas rechts von mir bewegte. Vorsichtig
streckte ich die Hand aus – dorthin, wo eben noch Lisa dicht
neben mir gestanden hatte.
Sie war weg.
»Lisa? Wo bist du?« Aufgrund meiner Angst hatte ich
lauter gesprochen, als es mir lieb war. Noch immer gab es keine
Antwort, aber ich hörte ein leises Schlurfen. Wo war sie
bloß? War ich etwa nun allein in dem Raum? In diesem Raum mit
seinen merkwürdigen Geräuschen, mit seinem von selbst
schwingenden Kitteln, mit seiner unnatürlichen Finsternis?
Plötzlich war mir, als sei ich der letzte Mensch auf dieser
Welt, umgeben von bedrohlichen Rätseln, die mir in der
Dunkelheit auflauerten und mich bedrohten, ohne dass ich die
Möglichkeit hatte, sie zu begreifen.
Dann: der Schrei.
Lisas Schrei. Weiter rechts von mir. Dann ein Schluchzen.
»Lisa!«, rief ich und scherte mich nicht mehr darum,
dass man mich vielleicht hören könnte. In jenem Augenblick
wäre es mir sogar lieb gewesen, wenn uns die Polizei aus diesem
schrecklichen Raum befreit hätte. Ich stolperte mit
ausgestreckten Armen in die Richtung des Schluchzens. Meine
Hände erfühlten etwas. Stoff. Etwas zuckte darin wie ein
Aal. Sofort ließ ich es los und wich zurück. Gleichzeitig
wieder ein erstickter Schrei. Es war Lisas Stimme.
»Was ist das?«, keuchte sie.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher