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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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sich. »Das ist gar nicht einfach
zu erklären«, sagte er nach einer Weile und zupfte sich am
Kragen seines weißen Hemdes. Er sah immer noch genauso aus wie
damals, als ich ihn zum letzten Mal besucht hatte. Vielleicht waren
es nun etwas weniger Haare, die fest an den schmalen, hohen Kopf
geklebt waren. Vielleicht waren es etwas mehr Falten, die sich in
Stirn und Wangen eingegraben hatten. Das Einzige, was eine furchtbare
Veränderung mitgemacht hatte, waren seine Augen. Sie waren wie
glühende Kohlestücke, die man frisch aus der Hölle
geholt hatte. »Also, wo soll ich nur anfangen?« Das kleine
Silberkreuz, das er noch immer am Revers seines schwarzen Anzuges
trug, blitzte auf, als er den Oberkörper ein wenig drehte.
    »Am Anfang«, sagte Lisa kalt.
    »Aber wo ist der Anfang, junge Frau?«, gab mein Onkel
zurück und warf ihr einen durchdringenden Blick zu. Er beugte
sich vor und nahm das Weinglas in die Hand. Er hielt es hoch und
betrachtete die dunkle, glitzernde Flüssigkeit nachdenklich.
»Gibt es einen Anfang? Sind wir alle nur Spielball der
großen Mächte, die einige ›Gott‹, andere
wiederum ›die Götter‹ nennen? Haben wir wirklich einen
Anfang oder werden wir nur immer wieder zu neuen Formen, neuen
Gedanken und neuen Wünschen zusammengesetzt? Hat unser Streben
einen Anfang? Ich weiß nicht, wie es angefangen hat. Irgendwann
hatte er mich in seinem Netz.« Er trank einen Schluck und
stellte das Kristallglas dann vorsichtig auf dem Tisch ab.
    »Von wem redest du?«, fragte ich ungeduldig.
    »Von Somniferus, mein lieber Neffe. Wenn mich nicht alles
täuscht und ich den Ausdruck deiner Augen sowie die Eigenarten
deines Benehmens richtig deute, stehst auch du bereits in Kontakt mit
ihm.«
    Ich sagte nichts darauf. Er war wahnsinnig; das war die einzige
Erklärung. Ja, ich hatte Angst, aber die Angst vor meinem
offenbar verrückt gewordenen Onkel war größer als die
Angst vor jener nebelhaften Gestalt namens Somniferus.
    Er fuhr fort: »Zunächst war es eine rein akademische
Suche. Aber irgendwann bemerkte ich – Veränderungen. Ich
sah Dinge, die eigentlich nicht hätten da sein dürfen, ich
hörte und roch etwas, das nur eine Halluzination sein konnte.
Aber es war keine. Je tiefer ich in das Geheimnis des Somniferus
eindrang, desto aufdringlicher wurden die – Manifestationen. Und
ich fand einen alten Text – ein Palimpsest –, das mir
weitere Aufschlüsse gab. So erfuhr ich von der Existenz einer
oder zweier Statuen dieses Gottes, die angeblich die höchste
Erkenntnis verschaffen können.«
    »Wie konntest du nur an einen solchen Unsinn glauben?«,
warf ich ein.
    »Es erschien mir nicht als Unsinn. Ich habe gesehen. Ich wusste. Und da war es um mich geschehen. Ich wollte um
jeden Preis an eine dieser Statuen herankommen.«
    »Was wollten Sie denn mit ihr machen?«, fragte Lisa
angeekelt.
    »Ich wollte ihr ein Opfer darbringen.«
    »Ein Menschenopfer?«, entfuhr es mir.
    Onkel Jakob sagte nichts darauf. Er sah mich nicht einmal an,
sondern starrte auf das Glas vor sich.
    Hanisch mischte sich ein. »Verstehen Sie uns bitte nicht
falsch, aber…«
    »Uns?«, unterbrach ich ihn. »Gehören
Sie etwa auch dazu?«
    »Na und? Was ist denn schon dabei?«, giftete mein Onkel
mich an. »Was ist denn schon so schlimm an dem Wunsch nach
Erkenntnis?«
    »Ich verstehe dich nicht, Onkel. Wie konntest du als Priester
dich auf solche Abwege begeben?«
    »Bist du sicher, dass es Abwege sind?«, verteidigte er
sich.
    Hanisch mischte sich wieder ein: »Stellen Sie sich doch nur
einmal vor, Herr Weiler, Sie erhielten die Möglichkeit, hinter
die Dinge zu blicken…«
    »Wer sagt mir, dass dahinter nicht nur der Wahnsinn
lauert?«, gab ich zurück. »Offenbar lauert er
dahinter, wenn ich Sie beide so sehe!«
    »Nein, das tut er nicht«, verteidigte sich mein Onkel.
»Somniferus wurde angebetet, damit er wahre Träume sandte.
Angeblich konnten viele seiner Anbeter diese Träume nicht
ertragen und gingen daran zugrunde, aber einige wurden erleuchtet.
Durch den Traum und die Beschäftigung mit der Welt des
Nichtkörperlichen wurden sie sozusagen auf eine andere Ebene
gehoben. Der Weg waren sie selbst. Deshalb ist Somniferus ein Gott
der Gedanken und des Traumes gewesen…«
    »Ich kann dieses wirre Geschwafel nicht mehr
hören«, sagte ich und schnitt ihm damit das Wort ab.
»Wieso hast du nicht selbst nach dieser Statue gesucht, wenn du
so heiß auf sie bist?«
    »Es ging nicht. Somniferus hat mich bereits in

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