Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
Vom Netzwerk:
gleich Ihr Name?«
    »Weiler.« Ich zögerte eine Sekunde. »Dr. Ralf
Weiler.« Ich hörte leises Zischeln; offenbar war der
Schlossherr nicht allein.
    Dann sagte die Stimme: »In Ordnung. Kommen Sie herein. Gehen
Sie ganz durch bis zum Neuen Haus. Das ist von Ihnen aus der letzte
Bau. Dort werden Sie erwartet.« Die Tür schwang elektrisch
auf.
    Lisa hob erstaunt eine Braue und lächelte mich an. Schnell
schlüpften wir durch das Tor, bevor es sich hinter uns
automatisch wieder schloss. Wir gingen an einem kleinen Garten zur
Rechten vorbei, dann durch ein weiteres Tor in dem verfallenden
Gebäude und kamen schließlich in den eigentlichen
Innenhof.
    Das Schloss war ein symmetrischer Kasten mit bereits
klassizistischen Anklängen; exakt in der Mitte befand sich die
halb offen stehende Eingangstür. Es gab keine Freitreppe, keine
imposanten hochführenden Stufen; die Tür lag zu ebener
Erde. Als wir vor ihr standen und ich sie bereits weiter
aufdrücken wollte, schwenkte sie plötzlich wie von
Geisterhand ganz nach innen. Ein Mann erschien in der
Öffnung.
    Mir war, als ziehe mir jemand den Boden unter den Füßen
weg. Diese Person hatte ich am wenigsten hier erwartet.
    Ich blickte in das grinsende Gesicht meines Onkels Jakob
Weiler.

 
22. Kapitel
     
     
    Ich verstand nichts mehr. Stotternd stellte ich Lisa meinen Onkel
vor – und dann verstand auch sie nichts mehr. Inzwischen war ein
weiterer Mann hinter Onkel Jakob aufgetaucht, der sich uns
gegenüber als der Schlossherr ausgab.
    »Ich habe im Schloss meines Freundes Albert Hanisch
Unterschlupf gesucht, als die ganze Sache zu groß für mich
wurde«, sagte Onkel Jakob.
    »Aber warum das Ganze?«, fragte ich verwirrt.
»Warum dieser angebliche Selbstmord, diese Testamentsgeschichte,
diese Suche?«
    »Das werde ich dir und deiner Begleiterin erklären, wenn
du mir verrätst, warum ihr hier seid.«
    »Ich glaube, zuerst bist du dran«, meinte ich
beharrlich.
    Hanisch sagte darauf: »Ich schlage vor, dass sich die jungen
Herrschaften erst einmal frisch machen. Danach setzen wir uns im
grünen Salon zusammen und erörtern die ganze
Angelegenheit.« Er wandte sich direkt an mich: »Sie werden
sehen, dass dann alles eine befriedigende Erklärung
erfährt.«
    In diesem Augenblick erstarrte Onkel Jakob und hielt den Kopf
schief, als lausche er angestrengt auf etwas. Er war so bleich
geworden, dass ich schon befürchtete, er würde
ohnmächtig. Unnötig zu sagen, dass ich es ebenfalls
hörte. Ich sah Lisa an. In ihren Augen stand blanke Angst.
    Es waren diese hallenden Schritte. Aber nicht nur sie, sondern
auch noch ein Rumoren, als bewege sich etwas im Schlaf und sei kurz
davor, aufzuwachen. Einen Augenblick lang schienen die Wände der
Halle, in der wir noch standen, aufzuweichen; es war, als
befänden wir uns in einer gewaltigen Höhle, deren
Wände nass von Wasser, Schleim und Blut waren. Es glitzerte rot
und weiß und schwarz um uns herum und es stank bestialisch. Wir
alle kannten diesen Gestank, den wir bisher immer nur schwach
wahrgenommen hatten. Doch dann war diese Vision auch schon
vorüber und die Geräusche waren verstummt. Onkel Jakob
atmete auf. Doch tief in meinem Innern lauerte immer noch
etwas…
    »Wenn ich Ihnen zeigen dürfte, wo Sie sich frisch machen
können…« Der Schlossherr hatte als Erster die Fassung
wiedergefunden, aber in seinen schreckgeweiteten Augen stand ein
ganzer Roman. Ein unheimlicher Roman. Er geleitete uns in ein
Gästezimmer, das den moderig-feuchten Geruch langer
Nichtbenutzung an sich hatte, und von dort aus in ein riesiges Bad,
das zwei Waschbecken besaß. Er sagte, er werde uns in einer
halben Stunde wieder abholen.
     
    * * *
     
    Der »grüne Salon« schien das am häufigsten
benutzte Zimmer des neuen Schlosstraktes zu sein. Auf dem Weg dorthin
waren wir durch kalte, kahle, verwahrloste Zimmer gekommen, die in
mir den Eindruck eines sterbenden Hauses erweckten.
    Der grüne Salon hingegen war warm und gemütlich. Seinen
Namen hatte er von der alten grünseidenen Wandbespannung
erhalten. Wir saßen auf bequemen englischen Ledersofas vor dem
Kamin, in dem ein heftiges Feuer knisterte und zischte. Auf dem
niedrigen Tisch vor uns standen einige Flaschen Wein und vier
Kristallgläser, die im Licht der Flammen funkelten. Der
Schlossherr hatte bereits eingeschenkt.
    Der rote Wein wirkte wie flüssiges Feuer. Wir tranken einen
Schluck, dann sagte ich: »Jetzt will ich endlich wissen, was
hier gespielt wird.«
    Onkel Jakob räusperte

Weitere Kostenlose Bücher