Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
online und sie bekam sogleich feuchte Hände. Jetzt konnte sie ihm auch gleich absagen, das war einfach das Vernünftigste. Noch bevor sie ein Wort tippen konnte, ging ein Chatfenster auf und er begrüßte sie mit ‚ich freu mich auf nachher‘.
Ihr fiel es schwer, ihm eine Abfuhr zu erteilen, aber ihr war einfach nicht danach. Als sie ihm das geschrieben hatte, merkte sie, dass sie eine Leere erfüllte.
‚das ist natürlich akzeptiert. dachte mir eh, dass du einen rückzieher machen wirst, schließlich könnte ich ein psychopath sein oder was auch immer. ist schade, aber echt ok, dass es nichts wird.‘
Linda widersprach, schließlich war sie sich sicher, dass er der Typ Mann war, den er ihr beschrieben hatte und sie auch verrückt genug für solche Aktionen wäre, aber sie war halt nicht in Stimmung. Er hakte nach, was denn dann das Problem wäre. Es tat ihr gut, sich die Depri-Stimmung von der Seele zu reden, und die Anspannung löste sich mit jedem Wort. Nachdem sie sich ausgesprochen hatte, meinte er, dass der Gedanke an das Treffen ihn schon sehr heiß gemacht hatte. Die Vorstellung, dass sie auf ihn unter der Brücke warten, sich nehmen lassen würde und sie nachher im Chat über dieses Erlebnis reden würden, hatte nun doch wieder enorm viel Prickelndes.
‚es wäre ein erlebnis gewesen, das die wenigsten erleben‘, schloss er seine Worte und dieser Arsch hatte doch tatsächlich wieder den richtigen Nerv bei ihr getroffen. Sie hatte verdammt noch mal nun doch Lust darauf, sich von ihm so anonym wie möglich nehmen zu lassen und sagte ihm das auch.
‚dann lass es zu. es liegt einzig an dir …‘
Linda zögerte, starrte auf die Tastatur, dachte an das Monster in der Höhle und tippte langsam ‚ok.‘ Sie drückte Return.
‚gut. bis um zehn. sobald du mich kommen siehst, stellst du dich mit dem gesicht zur wand und beugst dich vor.‘
‚wie erkenne ich dich?‘
‚ich trage nen hut. hast du nen slip an?‘
Diese Dominanz und Bestimmtheit machte sie extrem wuschig. ‚nen tanga‘, schrieb sie. Er schrieb ‚ciao‘ und loggte sich aus. Dieser Mann hatte eine Macht über sie, die sie beängstigte, aber auch geil machte. Sie hoffte, dass es kein Reinfall werden würde. Wenigstens hatte sie sich nicht umsonst so zurechtgemacht. Ihr Handy piepste. Eine SMS von Sebastian. ‚Bitte. Mach das nicht. Das ist gefährlich.‘
Ihre Stimmung drohte erneut, zu kippen, aber dieses Mal ließ sie es nicht zu und schaltete das Handy aus.
Linda war oft von der Disko ‚Planet‘ aus weit nach Mitternacht nach Hause gegangen und es hatte ihr nichts ausgemacht. Doch heute Nacht war ihr mulmig zumute. Ihre Schritte hallten von den Gassenmauern wider, vereinzelt flackerten Fernsehbilder aus den Wohnungen, keine Autos fuhren. Die Stadt wirkte ruhiger, finsterer, verlassener als am Wochenende. Aber vielleicht bildete sie sich das nur ein, weil sie angespannter war als nach einem Diskobesuch und auch nicht besoffen. Dort vorn war das Cinecitta zu sehen, sie hatte also noch gute zehn Minuten, bis sie ihren Treffpunkt, die Steubenbrücke, erreichen würde. Was mache ich da bloß, fragte sie sich. Wenn das ihre Mutter wüsste. Was war nur aus ihr geworden?
Als sie das Kino erreichte, war sie versucht, auf der Stelle kehrtzu¬machen, aber sie ging dann doch weiter. Es käme ohnehin anders als erwartet. Womöglich würde er nicht kommen. Womöglich wären Passanten unterwegs und sie hätten auch keine Möglichkeit, es dort zu treiben. Dass er ein Psychopath war, der ihr an die Kehle wollte, glaubte sie nicht.
Unter der Brücke war es sehr finster, kaum, dass sie die Hand vor Augen sah. Aus der Ferne waren lachende Leute zu hören. Der Wind hauchte ihr eine Gänsehaut auf die Beine. Sie versuchte, die Nervosität einfach wegzutippeln und ihr Herz setzte für einen Moment aus, als sie Umrisse in der Finsternis erkannte. Doch es war nur ein Pärchen, das sich Arm in Arm aus dem Dunkel schälte. Sie wollte auf die Uhr schauen, da sah sie hinter den beiden einen weiteren Schatten. Das war er. Talisman83. Ihr geheimnisvoller Fremder. Sie erkannte die Umrisse seines Hutes. Er blieb stehen. Das Pärchen schlenderte an ihr vorbei, ohne sie zu beachten. Sie sah ihnen nach und spürte die Blicke ihrer Chatbekanntschaft. Als das Pärchen um die Ecke verschwunden war, schaute sie sich wieder um. Er stand noch immer dort. Jetzt war sie an der Reihe, sich an die Abmachung zu halten und stellte sich mit dem Gesicht zur
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