Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
sie Ondrej so anschnauzen musste. Aber wie sollte sie ihn sonst auf Distanz halten? Sie konnte ihm unmöglich erzäh-len, was ihr zu schaffen machte, dass er ihr zu viel bedeuten könnte und dass sie das ängstigte. Und dass sie in einer Beziehung steckte und nicht wusste, wie sie es beenden sollte. Alena beobachtete den Jungen von vorhin. Er kniete vor einem älteren Kleinlastwagen und schrieb irgend-etwas mit dem Finger auf die verdreckte Schiebetür.
»Lass das«, rief ein Mann von der Baustelle aus.
»Was treiben die da vorn?«, wollte Alena wissen. Als Ondrej nicht rea-gierte, warf sie einen Blick über die Schulter. Er betrachtete gedanken-versunken ihre Tasche, die an der mittig stehenden Säule lehnte.
»Die reißen die Straße auf. Rohrbruch«, murmelte er.
»Tut mir leid, Ondrej. Ich wollte dich nicht anschnauzen. Ich … mir geht’s momentan nicht so gut. Komme mit meiner Arbeit nicht nach, und das alles, weil ich nur noch Zeit mit dir verbringe.«
»Aber Alena, ich verlange das doch gar nicht.«
»Und wenn ich es will?«, erwiderte sie. Die Füße wurden immer kälter, aber im Bauch, da wurde ihr warm.
Er lächelte. Sie liebte es, wenn er lächelte. Die Grübchen um seine Mundwinkel. Alles wird gut.
Er ging auf sie zu und stellte sich so dicht vor sie, dass sie seine Körperwärme spüren konnte. Sie drehte ihr Gesicht zur Seite, sein Atem kribbelte an ihrer Wange.
»Ich hab dich lieb«, hauchte er und die Erinnerungen, die er damit hervorrief, ließen sie aufschrecken. Sie drückte sich von ihm weg und ging zu ihrer Tasche. »Welches Datum haben wir?«
»Du bist so komisch.«
»Haben wir heute den Zwanzigsten?«
»Ich glaub schon.«
Sie kramte in der Tasche, um seinen fragenden Blicken auszuweichen. »Meine Babischka hat übermorgen Geburtstag und ich weiß nicht, was ich ihr schenken soll.«
»Schenk ihr mein Bild, das mit der Socken strickenden Oma auf dem Schaukelstuhl. Erinnerst du dich? Sie ahnt nicht, dass jemand sie erwürgen will. Was hältst du davon?«
Mistkerl! Sie schulterte die Tasche und ging zur Tür, umfasste die Klinke, zögerte aber mit dem Hinausgehen. Das war wohl seine Revanche auf ihre Schnauzerei.
»Tut mir leid. Aber das musste sein«, bemerkte er und sie hörte, wie er auf sie zukam. »Vielleicht findest du ein anderes Bild für sie. Such dir eins aus.«
»Lass mich mit deinen Schmierereien in Ruhe.« Ohne ein weiteres Wort trat sie aus dem Atelier und machte sich auf den Heimweg.
Alena stand vor ihrer Wohnungstür. Die Hände zitterten so stark, dass sie kaum den Schlüssel ins Schloss stecken konnte. Sie musste es beenden, einen Schlussstrich ziehen. Ihr war das zu gefährlich. Er kam ihr so nahe wie nie ein Mensch zuvor. Zu nahe. Er berührte ihr Herz und sie wollte nicht, dass man es berührte. Sie wollte seine Liebe nicht, den Verlust würde sie nicht überleben.
Sie sperrte die Wohnung auf und trat in den Flur. Magdalenas Gesang drang aus dem Bad. Wasser plätscherte. Alena nahm sich vor, sich ihren Kummer nicht anmerken zu lassen. Zu oft schon hatte sie Magdalena damit belastet. Ein Zettel lag neben dem Telefon. Vlado hatte ange¬rufen. Eine Nummer stand dabei, sie sollte zurückrufen.
Alena legte die Tasche ab. Nicht nur wegen der Gefühle musste sie das mit Ondrej beenden. Auch wegen Vlado. Die Dusche wurde abge¬dreht.
»Ich bin wieder da.«
»Vlado hat angerufen«, gab Magdalena zurück.
»Ich weiß.«
»Wann schenkst du ihm endlich reinen Wein ein?«
Ich darf es mir mit ihm nicht verderben, dachte Alena, griff zum Hörer und wählte die Nummer.
»Alena? Na endlich. Wo warst du denn? Und warum bist du nie da, wenn ich anrufe?«
»Ich … tut mir leid. Du fehlst mir und hier in der Wohnung kann ich so schlecht die Zeit totschlagen.«
»Du vermisst mich? Frag mal, wie es mir geht. Ich halte es kaum mehr aus. Und übermorgen bleiben uns höchstens zwei Stunden … abends … ich muss dann weiter nach Prag für eine Nacht«, ließ er sie wissen.
»Da kann ich nicht. Meine Babischka hat Geburtstag und ich will den Abend mit ihr verbringen.«
»Ich dachte, du vermisst mich? Ist dir deine Oma wichtiger als ich?«
Magdalena kam aus dem Bad und sah sie fragend an. Alena hielt die Sprechmuschel zu. »Was ist?«
»Du vermisst ihn?«, flüsterte Magdalena mit verkniffener Miene. Was¬ser tropfte von den Haaren.
Alena winkte nur ab. »Wo willst du hin?«, fragte sie Magdalena.
»Was ist denn nun?«, drängelte Vlado.
»Ich besuche Petr«,
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