Sonderauftrag
Krieg.«
»Wissen Sie, wann ungefähr vor dem Krieg?«
Grugel überlegte einen Augenblick und sagte dann: »Na, so ein, zwei Jahre vorher. Bei Kriegsausbruch zog er doch gleich die Uniform an, die aus dem schwarzen Tuch. Für die graue Uniform war er sich zu schade. Man war ja was Besseres. Ganz stolz war der alte Herr, als sein Sohn das erste Mal auf Urlaub kam. Alles vergeben und vergessen!«
Schmatzend zog er wieder an dem Stumpen, um dann fortzufahren: »Nun, ein richtiges Fest hat es gegeben. Da waren sie nicht kleinlich, die von Schleyersdorfs. Ob Taufe oder Erntedank, die wussten, was sich gehört. Als Frankreich kapitulierte, gab es wieder ein Riesenfest im Dorf. Alle versammelten sich vor der großen Freitreppe und der alte Herr hielt eine kurze Rede, von wegen der Schmach von Versailles und grandiosem Sieg und so.«
»Und sein Sohn, war der auch dabei?«
Der Gefragte schüttelte bedächtig den Kopf. »Nein, der Wernher war nicht da. Der soll damals in Frankreich gewesen sein. Er kam zwar oft nach Hause, aber damals war er nicht dabei.«
»Er kam oft nach Hause?« Kröger beugte sich etwas nach vorn. Ein Fehler, wie er sofort feststellte. Er rutschte noch tiefer in das Sitzmöbel.
»Na ja, zu Anfang des Krieges jedenfalls regelmäßig, für später kann ich es nicht so genau sagen, ich wurde ja 1943 selber eingezogen.« Ein entschuldigender Unterton lag in der Stimme. »Mäuschen, hol’ den Herren doch mal das Fotoalbum.« Er zeigte in Richtung des Vertikos.
Seine Frau nickte und wuchtete sich aus dem Sessel. Kröger staunte, wie sich Mäuschen hochschraubte. Sie drückte sich mit den Unterarmen von den Sessellehnen ab und schaffte es, langsam an Höhe zu gewinnen. Sie wankte zum Vertiko, zog die Schublade auf, nahm das Gewünschte heraus und begann den Rückweg. Dankbar fiel sie in ihren Sessel zurück und reichte schwer atmend das Album über den Tisch.
Der Stumpen wanderte geschickt in einen Mundwinkel und die Bockwurstfinger schlugen eine bestimmte Seite auf. Grugel drehte das Album zu den Kriminalbeamten. Kröger und Vollert erblickten das Foto eines schlanken jungen Mannes, der in die Kamera lächelte, das Käppi der Uniform keck schräg auf dem Kopf. Fragend sah Kröger seinen Gastgeber an.
»Da staunen Sie, was? Ja, das bin ich. Waren damals schlechte Zeiten. Heute können wir zeigen, wo unser Geld ist.« Laut lachend klatschte er sich mit der flachen Hand auf seinen dicken Bauch. »Und hier, das ist meine Frau.« Er blätterte eine Seite weiter und wies auf ein Foto. Es war unverkennbar Frau Grugel, schon damals zur Fülle neigend. So schlecht schien es ihr doch nicht gegangen zu sein.
»Haben Sie auch Fotos vom Schloss und seinen Bewohnern?«
»Vom Schloss und von der Herrschaft? Nee! Wie denn auch! Wir haben ja nicht so viel mitbekommen, was sich im Schloss abspielte. Die Arbeit wurde vom Verwalter eingeteilt und beim Schloss hatten wir nichts zu suchen, außer es gab Arbeit dort.«
Er zog noch einmal kräftig an dem Stumpen. Mit einem geschickten Dreh drückte er dann den Rest im Aschenbecher aus. Kröger war dafür mehr als dankbar. Die Luft in dem kleinen Raum war zum Schneiden dick. Bläulich schimmernde Schwaden zogen in Richtung Zimmerdecke, die einen gelblich-braunen Farbton hatte.
Kröger stellte seine nächste Frage: »Hatte der Wernher von Schleyersdorf oder sonst jemand vom Schloss Feinde?«
Wieder schüttelte der Mann langsam und bedächtig den Kopf. »Herr Kommissar, die lebten in ihrer eigenen Welt. Da hatte unsereins keinen Einblick. Ich glaub nicht, dass hier jemand deren Feind war. Die standen zu weit über uns. Dann schon eher beim Kommiss – der Wernher war ja Offizier und die haben nicht nur Freunde gehabt.« Er leckte sich die Lippen und sagte, zu seiner Frau gewandt: »Mäuschen, hol mir mal ’ne Buddel Bier. Ich hab einen ganz trocknen Mund vom vielen Sabbeln.«
Wieder drückten die Arme den massigen Körper nach oben, und wieder dauerte es, bis sie die Senkrechte erreicht hatte. Es sah aus, als wenn ein Heißluftballon langsam an Höhe gewann. Die Frau watschelte aus dem Zimmer und kam einen Augenblick später mit einer Flasche Bier wieder. Genauso wortlos, wie sie gegangen war, stellte sie die Flasche auf den Tisch. Nachdem sie ihre optimale Sitzposition wiedergefunden hatte, zog sie aus den unergründlichen Weiten ihrer Kittelschürze ein riesiges Taschentuch hervor. Mit diesem Stück Stoff wischte sie sich den Schweiß vom Gesicht, das feuerrot war.
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