Sonderauftrag
Sie hechelte förmlich, und Kröger machte sich schon Gedanken, wie der Notarzt sie hier herausbugsieren wollte.
Ihr Mann ergriff unbeeindruckt die Flasche, drückte dann mit dem Daumen den Kronkorken vom Flaschenhals und ließ den Inhalt in seine Kehle laufen. Kröger hatte die Vorstellung mit Staunen verfolgt. Einen Kronenkorken nur mit dem Daumen von einer Flasche gedrückt, das sah man nicht alle Tage.
Grugel wischte sich mit seinen Wurstfingern genüsslich über die Lippen. »Was wollen Sie denn noch wissen?« Ein heftiges Rülpsen begleitete die Worte.
»Anton, nun reiß dich mal zusammen. Wir haben Besuch aus der Stadt!« Vorwurfsvoll, die rosige Stirn in Falten gelegt, schaute Mäuschen ihren Mann an. Der zuckte nur kurz mit den Schultern und griff nach seiner Zigarrenschachtel. Kröger dachte noch ›Oh Gott!‹, da brannte schon der nächste Stumpen unter heftigem Schmatzen.
Er fasste sich mit zwei Fingern unter den Hemdkragen, um ihn etwas zu lockern. Langsam wurde die Luft knapp und auch Vollert wurde sichtbar unruhig. Trotzdem stellte Kröger seine nächste Frage: »Wer hatte denn Zugang zum Schloss?«
Grugel überlegte kurz. »Nun, natürlich die Herrschaft, das Dienstpersonal und manchmal der eine oder andere aus dem Dorf. Wenn es Arbeiten gab!«
»Welcher Art waren diese Arbeiten?«
»Kohlen schaufeln, Asche und Abfälle wegbringen, manchmal Handwerksarbeiten. Einige Frauen waren auch zum Waschtag im Schloss oder wenn es darum ging, große Feste vorzubereiten, dann musste man mit ran.«
»Sie sagten, Handwerksarbeiten! Auch Maurertätigkeiten?«
Grugel zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich nicht, keine Ahnung.«
»In den letzten Kriegswochen, wurde da im Schloss gearbeitet? Ich meine, Maurerarbeiten?«
»Tut mir leid, da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Wie schon gesagt, ich wurde ’43 eingezogen und kam erst ’47 aus der Gefangenschaft. Das letzte Mal war ich Weihnachten ’44 auf Urlaub.« Er begutachtete das Deckblatt der Zigarre, dessen Ecke sich gelöst hatte. Ein bisschen Spucke und ein klein wenig Druck mit den Fingern und das Malheur war behoben.
Kröger wandte sich an die Frau. »Und Sie, Frau Grugel, können Sie uns da weiterhelfen?«
Sie nahm die Hände von den Lehnen, legte sie ineinander verschränkt vor ihren gewaltigen Bauch. »Pss.« Mit leichtem Zischen ließ sie die Luft aus ihrem Mund entweichen. »Kriegsende … Welcher Zeitraum interessiert Sie denn besonders?«
»So ab Anfang April ’45.«
»Mmh, April … Da ging hier alles drunter und drüber. Die Herrschaft war nicht mehr da und der Verwalter hatte sich gleich mit aus dem Staub gemacht. Der Böck lief auch nur noch in Zivil und schwang Durchhaltereden, und plötzlich war auch der weg.«
»Böck, der Ortsgruppenleiter?« Vollert hatte die Frage gestellt.
»Genau der! Haben sich ja schon umgehört hier bei uns.«
»Nur ein wenig. Wir wissen kaum etwas, deswegen brauchen wir dringend Ihre Hilfe.« Kröger hatte seinen ganzen Charme in diese Worte gelegt.
»Na ja. Manches können wir erzählen. Laufen ja schon lange auf dieser Erde umher.«
Kröger musste bei dem Wort ›laufen‹ schmunzeln.
»Wo waren wir? Ach ja, April. Der Böck war auch weg, und dann die Ungewissheit. Kaum Männer im Dorf! Wir Frauen haben fast alles allein bewirtschaften müssen. So richtig wusste keiner, was wird. Dann die Bomber oben am Himmel. Erst flogen sie ja nur nachts, dann auch am Tag. Dieses komische tiefe Brummen, und manchmal ging es dann auch los. Bumm! Bumm! Die Erde zitterte, und wenn man über die Felder schaute, sah man die Brände in Stralsund, oder sie warfen ihre Bomben auf den nahe gelegenen Flugplatz in Parow.«
Wie um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, hatte sie bei den Bombeneinschlägen ihre fleischigen Fäuste auf die Tischplatte fallen lassen. Die Bierflasche ihres Mannes fing zu wackeln an und wäre wahrscheinlich umgefallen, hätte er sie nicht mit schnellem Griff vom Tisch genommen. Genauso schnell kippte er den restlichen Inhalt in sich hinein. Vollert hatte erschrocken sein Notizbuch zugeklappt und auch Kröger schaute erstaunt zu der Frau, die unbeirrt weiter erzählte.
»Schrecklich war das alles. Vor allem abends und nachts flogen die Bomber und am Tag die Tiefflieger. Wir kamen kaum dazu, die Felder zu bestellen. An manchen Tagen, wenn wir auf dem Acker waren, kamen die Flugzeuge drei, vier Mal und sie schossen auf alles, was sich bewegte, egal ob Mensch oder Tier …«
Sie machte eine
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