Sonderauftrag
kurze Pause, um Luft zu holen. Ihr mächtiger Busen hob und senkte sich schneller. »Aber«, fuhr sie fort, »wir haben unsere Arbeit gemacht. Das Saatgut musste in den Boden, sonst wären wir im Winter verhungert. Dann, im April, kamen die Flüchtlinge und keiner wusste, wohin mit denen. Wir haben sie kurzerhand im Schloss untergebracht. Na ja, wohnte ja keiner mehr drin und die Leute brauchten ein Dach über dem Kopf. Tja, und Anfang Mai kamen dann die Russen. Gott steh mir bei!« Bei dem letzten Satz hatte sie sich bekreuzigt. »Die waren hinter jedem Rock her. Besoffen griffen sie sich die erstbeste Frau und vergewaltigten sie. Herr im Himmel, was hatten wir für Angst.« Sie schluckte mehrmals. Stockend sprach sie weiter. »Meine Mutter hatte mir verboten, aus dem Haus zu gehen, und wenn die Russen zu uns ins Haus kamen, dann versteckte sie mich im Heu. So blieb mir vieles erspart.«
Kröger kannte diese Geschichten, obwohl kaum jemand vor der Wende darüber gesprochen hatte. Es fiel ihm schwer, sich in diese Frauen hineinzuversetzen. Seine Frau hatte ihm versucht, begreiflich zu machen, was sie durchlitten hatten, war dann aber zu der Erkenntnis gelangt: ›Als Mann kannst du das gar nicht verstehen!‹
»Frau Grugel«, versuchte Kröger, wieder auf den Punkt zu kommen, »Sie sprachen davon, dass im April die Flüchtlinge im Gutshaus unterkamen. Können Sie das präzisieren?«
Unsicher irrten die Augen der Frau von Kröger zu ihrem Mann.
»Nein, genau weiß ich es nicht, aber es muss Ende April gewesen sein, denn die Kartoffeln waren schon in der Erde. Die Flüchtlinge hätten uns die sonst noch weggefressen – oder die Russen.«
»Wann kommen die rein?«
»Wer?«
Verwunderung klang in ihrer Frage mit.
»Na, die Kartoffeln.«
Frau Grugel musterte die beiden Beamten. Sie wusste nicht, ob die Frage ernst gemeint war.
»Um den 10. April müssen die rein. Jeder gute Bauer hat am 100. Tag des Jahres die Kartoffeln im Boden. Das weiß man doch!«
»Ich wusste das nicht! Ich bin aber auch kein Bauer, sondern nur Kriminalist.« Kröger lächelte gewinnend.
»Ist noch irgendwas in der Zeit der Kartoffelsaat passiert, etwas Ungewöhnliches?«
Die Frau verschränkte ihre Arme vor dem Bauch. »Kartoffeln werden gelegt, Herr Kriminaler, nicht gesät. Und passiert wird auch schon noch was sein, aber das weiß ich doch heute nicht mehr.«
»Können Sie sich an Bauarbeiten in den letzten Kriegswochen erinnern? Wurde am oder im Schloss gebaut?«
»Nee, nee, ganz bestimmt nicht. Die von Schleyersdorfs hatten zu diesem Zeitpunkt ganz andere Sorgen, als sich um ihr Haus zu kümmern. Die mussten doch ihr Tafelsilber und die Gemälde retten.«
»Gemälde? Hatten die von Schleyersdorfs viele Kunstwerke?«
Die Frau zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich. Sie haben jedenfalls alles in Kisten verpacken lassen und abtransportiert.«
Kröger war wie elektrisiert. »Kisten, solche aus Metall und mit Bitumen drum rum? Etwa einen Meter lang und ungefähr so hoch und breit?« Er zeigte die Maße mit seinen Händen.
»Kisten aus Metall? Nicht, dass ich wüsste! Der Stellmacher musste welche aus Holz machen. War schade um die Bretter!«
»Lebt der Stellmacher noch?«
»I wo, der starb einige Jahre nach dem Krieg.«
»Wann wurden die Kisten denn abgeholt?«
Die Gefragte überlegte und meinte dann: »Kurz bevor die Herrschaft flüchtete. Na, weit sind sie ja nicht gekommen!«
»Wie meinen Sie das?«
»Na, ein Tiefflieger hat das Auto der Herrschaft angegriffen und keiner überlebte, aber das haben wir erst vor Kurzem erfahren. Vom Erben, der das Schloss der Gemeinde schenkte.«
»Wann haben Sie denn Wernher von Schleyersdorf das letzte Mal gesehen?«
»Warten Sie mal, Herr Kriminaler, das muss Weihnachten 1944 gewesen sein. Er kam mit ein paar Kameraden und die störten den Weihnachtsempfang der Herrschaft. Die waren alle besoffen und führten sich auf, als wenn es nur sie gäbe. Wir waren Abschaum. Sogar die Herrschaft wagte es nicht, den vieren den Marsch zu blasen.«
»Waren es Offiziere oder Mannschaftsleute?«
»Sie fragen mich Sachen! Also ich nehme an, es waren Offiziere. Hatten ja auch einen extra Fahrer und ordentlich Lametta an der Brust.«
»Uns wurde erzählt, der Göring war auch hier?«
»Na, da hat man Ihnen ja den ganzen Klatsch schon berichtet.« Die Frau lächelte. »Ja, der Hermann war auch einige Male hier. Da war dann immer großes Tamtam. Alle antreten vor der großen Freitreppe und den
Weitere Kostenlose Bücher