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will heute zum Judotraining, sonst mault Dr. Hüpenbecker wieder rum.«
Vollert tat, wie ihm geheißen, und Kröger stieg wenige Minuten später vor seinem Haus aus dem Auto. Eine schnelle Dusche, saubere Garderobe, und zwei Stunden später trainierte er auf der Tatami die Boden- und Wurftechniken. Doch hier nannte man sie Ukemi Waza und Nage Waza.
Innerhalb von Minuten hatte er alles andere vergessen. Konzentriert gab er sich diesem Sport hin, den er seit über 30 Jahren betrieb. Judo war mehr als bloße Leibesertüchtigung. Es war eine Art Philosophie. Man versuchte zum einen, sich zu verstehen, gegenseitig zu helfen, und zum anderen versuchte man, seinen Körper und Geist bestmöglich einzusetzen.
Als junger Mensch war er fasziniert gewesen von der Fremdartigkeit dieser Sportart, etwas zu können, was nicht jeder beherrschte, und von der Exotik, die im Judo lag. Doch je länger er sich damit beschäftigte, um so mehr trat der philosophische Anspruch hervor. Körper und Geist als eine Einheit zu betrachten und das alles zum gegenseitigen Fortschritt und Wohlergehen. Welch ein Gegensatz zu seiner täglichen Arbeit und zur gegenwärtigen Gesellschaft, in der jeder nach mehr und noch mehr strebte, egal, auf welcher Leute Kosten, und egal, wer dabei auf der Strecke blieb.
Nach einer Stunde drang Kröger der Schweiß aus allen Poren. Ein angenehmes Gefühl hatte von seinem Körper Besitz ergriffen. Als der Trainer zum Randori rief, setzte er sich wie seine Sportsfreunde an den Rand der Tatami. Diese besondere Form des Übungswettkampfes mochten alle sehr. Hier konnte man zeigen, welche Techniken man beherrschte, aber es wurde einem auch gnadenlos vor Augen geführt, wo die eigenen Schwächen lagen.
Lächelnd bat der Trainer ihn auf die Tatami. Als er fragte, wer sich mit Kröger messen wolle, hob Dr. Hüpenbecker den Arm. Der Trainer nickte und Sekunden später standen sich beide konzentriert auf der Übungsmatte gegenüber. Kröger zog sich die Uwagi zurecht. Diese halblange Baumwolljacke musste sitzen, Etikette wurde hier großgeschrieben.
Der Kampf versprach, interessant zu werden. Beide waren Träger des 3. Dan und von fast gleichem Alter und ähnlicher Statur. In den ersten zwei Minuten konnte keiner von ihnen einen Vorteil für sich verbuchen. Beide agierten vorsichtig und abtastend, doch dann versuchte Dr. Hüpenbecker, Kröger mit einem Tani-Otoshi nach hinten zu werfen. Aber Kröger hatte einen festen Stand. Er reagierte schnell, zog den Arzt am Ärmel nach vorn und hob ihn gleichzeitig mit seinem Bein aus. Dr. Hüpenbecker wurde in der Luft gedreht und fiel auf die Tatami.
Laut erschollen die Wertung und das Kommando des Trainers: »Ippon … Sore made!« Die Wettkämpfer gingen zu ihrem Ausgangspunkt zurück, der Trainer kürte Kröger zum Sieger und beide Sportler verbeugten sich.
»Sauber und korrekt ausgeführter Ashi Uchi Mata. Sehr gut.«
Kröger freute sich über das Lob des Trainers, doch dieser ergänzte: »Es wäre schön, dich öfter hier begrüßen zu dürfen. Als Strafe zwei Runden Entengang um die Tatami, und zwar beide.«
Krögers Lächeln war wie weggewischt und auch der Gerichtsmediziner, der sich von seiner Niederlage gerade erholte, schaute ungläubig. »Warum ich? Ich war zum Training immer hier!«
»Erstens wegen dieser Frage, die ich erwartet habe, und zweitens, weil du außer Form bist.« Die Hand des Trainers vollführte einen Kreis um die Tatami.
Kröger und Dr. Hüpenbecker gingen in die Hocke und setzten mit großer Ernsthaftigkeit einen Fuß vor den anderen. Nach einer Runde knackten ihre Knie, nach der zweiten kamen sie kaum noch hoch.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht schüttelten sie ihre Beine aus. Das ›Sport frei!‹ am Ende des Trainings war Erlösung. Beide sehnten sich nach einer heißen Dusche.
Etwas später standen sie erschöpft, aber frisch geduscht vor der Sporthalle. Kröger atmete tief ein. Die zwei Stunden hatten ihm gutgetan.
Dr. Hüpenbecker griff in die Hosentasche und holte eine zerknüllte Schachtel Zigaretten heraus. Vorsichtig pulte er eine zerquetschte Zigarette aus der Packung und stopfte sie mit einem Seufzer zurück.
»Meine Letzte!«
»Versprochen?«
»Nee, nur für jetzt. Ich hab’ doch keine mehr dabei.« Er klopfte die Taschen ab, erfolglos.
»Hör mit dem Qualmen auf, ist das Beste … Vielleicht gewinnst du dann ja.«
»Ha, ich fass’ es nicht! Da hat der Mensch mal Glück und dann gleich große Reden schwingen. Beim nächsten Mal
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