Sonderauftrag
Herr Kollege?« Sie zupfte Dr. Neumann am Ärmel, der dankbar lächelte.
»Gern, womit wollen wir anfangen?«
»Nun, was halten Sie von Fotos?«
Er nickte, doch Dr. Brauner warf ein: »Fotos haben meine Leute schon gemacht. Jedes einzelne Stück wurde fotografiert und katalogisiert. Wenn Sie mal schauen möchten?« Er reichte eine Mappe hinüber.
Ewa Bednarek schlug diese auf und blätterte sie durch.
»Da sind ja auch die drei Fotos, die mir zugemailt wurden. Dank dieser konnte ich ein wenig recherchieren. Bei den anderen Stücken wird es etwas dauern, bis wir sie zugeordnet haben – wenn es überhaupt möglich ist, sie genau zu bestimmen.«
Dr. Neumann nickte bestätigend und zeigte auf die Münzen.
»Ich glaube, hier wird es ganz schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Bei der Sederschüssel bin ich mir nicht sicher.«
»Bei der was?«
Kröger sah fragend Dr. Neumann an, der seine kleine Aktentasche öffnete und weiße Baumwollhandschuhe herausnahm, die er sogleich anzog.
»Einen Moment bitte!«
Er zupfte sich die Finger zurecht, ging zum Tisch und nahm das silberne Gefäß, das Kröger mehr an einen Teller als an eine Schüssel erinnerte, und stellte auf dieses sechs silberne Schälchen, sodass sie zwei Dreiecke bildeten, die ineinandergriffen.
»So gehört das. Übrigens, Seder kommt aus dem Hebräischen und heißt auch Ordnung. Diese Schüssel wird für eines der wichtigsten jüdischen Feste verwendet. Man feiert den Auszug aus Ägypten. In die Schälchen kommen bestimmte Lebensmittel. Und zwar rechts oben S’roa – ein Hühnerhals oder Bein. Dieses steht für das Pessach Lamm, das am ersten Abend nach dem Auszug aus Ägypten geopfert wurde.«
Er machte eine kurze Pause und wies dann auf das zweite Schälchen.
»Links oben hinein legt man Bejza, ein gekochtes Ei. Es ist ein Symbol der Trauer und eine Metapher für das jüdische Volk: Je länger man es kocht, um so härter wird es. Dann kommt Maror – Bitterkraut. In der Regel nimmt man Meerrettich, als Symbol der bitteren Sklaverei in Ägypten.«
Seine Hand zeigte auf das nächste Schälchen.
»Da haben wir Kharpas, dort kommt ein Frühlingsgemüse wie Petersilie hinein, dieses steht für Wachstum. Tja, und rechts unten folgt dann Haroset, ein Mus aus Äpfeln, Nüssen und Wein. Es symbolisiert den Lehm, aus dem in Ägypten die Ziegel gefertigt wurden.«
Sein Finger ging in Richtung der letzten kleinen Schale.
»Und hier hinein wird Majim, Salzwasser, gefüllt, welches die Tränen, die während der Sklaverei geflossen sind, darstellt.«
»Sie kennen sich gut in der jüdischen Tradition aus.«
Ewa Bednarek blinzelte ihren Kollegen anerkennend an.
»Danke, aber das ist Zufall. Wir bereiten im Museum eine Ausstellung vor. Es geht um das Schicksal Stralsunder Juden während der Nazizeit und dadurch hatte ich das Vergnügen, mich mit jüdischer Tradition und dem jüdischen Glauben näher zu befassen.« Er lächelte.
»Moment mal«, Kröger unterbrach die beiden, »es handelt sich um einen Teller, der für ein jüdisches Fest benötigt wird, ebenso die Schälchen. Richtig?«
Die Experten nickten. »Richtig!«
»Was machen diese Gegenstände dann in dieser Kiste?«
Er schaute fragend von einem zum anderen.
»Sie fragen, weil es sich um Gegenstände des jüdischen Glaubens handelt?«
»Ja! Wir können doch davon ausgehen, dass der Inhalt von den Nazis geraubt wurde. Jedenfalls der Tizian und die beiden Elfenbeinfiguren, und ich nehme an, der Rest ist auch nicht ehrlich erworben. Warum bewahren Antisemiten jüdische Kultgegenstände auf?«
Ewa lächelte und zeigte auf die Sederschüssel.
»Weil sie wertvoll ist. Nicht nur für Juden, sondern auch kunsthistorisch. Ich würde sie auf Ende des 16. Jahrhunderts datieren. Und wer immer sie mitnahm, wusste um ihren Wert. So wie er auch um den Wert dieses Abendmahlskelches mit der dazugehörigen Patene wusste.« Sie deutete auf einen mit Edelsteinen besetzten Pokal und einen goldenen Teller.
»Diese Kleinode stammen etwa aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Damals spielte nur ein Glaube eine Rolle: der Glaube an Reichtum!«
Sie beugte sich zu dem Objekt hinunter und machte sich Notizen.
Kröger wandte sich zu Vollert und flüsterte ihm zu: »Kannst du mir sagen, warum niemand von der Staatsanwaltschaft anwesend ist?«
Vollert zuckte mit den Achseln und raunte ebenso leise: »Keine Ahnung!«
Wie auf ein Stichwort betrat die Staatsanwältin in diesem Augenblick den Raum.
»Tut mir
Weitere Kostenlose Bücher