Sonderauftrag
Fotos erblickten die Männer zwei unterschiedliche Gesichter. Wernher von Schleyersdorf schaute ernst, fast herrisch in die Kamera und Fritz Lange blickte unbekümmert lächelnd drein.
So ähnlich ihre persönlichen Daten wie Größe, Gestalt, Haarfarbe, Bart sowie Schuhzeuglänge und – weite waren, so unterschiedlich war ihr Gesichtsausdruck.
Interessant fand Vollert die militärischen Einsatzorte von Wernher von Schleyersdorf. »Schaut euch das mal an. Also, wenn mich meine Geschichtskenntnisse nicht trügen, dann hatte er, immer kurz nachdem Deutschland ein Land erobert hatte, gerade dort seinen Einsatzort. Hier«, er tippte auf das Blatt Papier, »Oktober 1939 Polen, im Juni 1940 Belgien, dann die Niederlande, im Juli 1940 Frankreich und, wen wundert’s, ab Herbst 1941 Russland.«
»Zufall?«
»Glaube ich nicht. Wir sollten nachfragen, um was es sich bei diesem Sonderkommando z.B.V. handelte.«
»Wenn es dazu irgendwo Unterlagen gibt. Die WAST scheint keine weiteren Angaben über diese Einheit zu haben. Wir fragen aber trotzdem nach. Ich vermute …« Kröger ließ den Satz im Raum stehen.
»Was vermutest du?«, hakte Vollert nach.
»Ach, nichts! Wir werden nicht für Vermutungen bezahlt, sondern für Tatsachen.«
»Dann nennen wir es doch Arbeitshypothese! Kann es sein, dass wir den gleichen Gedankengang haben?«
»Ich kenne deine Gedanken nicht, Carsten!«
»Nun, wir wissen, dass von Schleyersdorf einen hohen militärischen Rang innehatte, und wir wissen, er kam immer in ein Land, wenn es gerade erobert war, und wir können annehmen, er hatte sich eine zweite Identität beschafft …« Vollert machte eine kurze Pause, die Kröger zu einem Einwand nutzte.
»Wir wissen noch nicht, ob der Tote aus dem Schloss Wernher von Schleyersdorf ist.«
»Okay, Punkt für dich! So oder so, meiner Meinung nach hatte der Typ Dreck am Stecken. Dazu die Funksprüche! Ich vermute, dass er zur schlimmsten Sorte gehörte, nämlich zu jenen, die in den besetzten Gebieten Jagd auf Andersdenkende und Juden machten. Ein Nazi der übelsten Sorte!«
»Und wie passt deiner Meinung nach die Kiste mit den Kunstschätzen da hinein?«
Vollert hob die Schultern.
»Keine Ahnung! Vielleicht persönliche Bereicherung? Mich interessiert viel mehr: Was war die ›Aktion Grün‹, was für Aufgaben hatte die Sondereinheit und welche Rolle spielte von Schleyersdorf während des Krieges?«
»Sag mal«, Kröger wandte sich an Dr. Brauner, »in der Kartentasche waren doch auch Karten und ein Notizbuch. Kannst du uns da auch schon ein wenig drüber erzählen?«
»Nein.« Der Laborleiter schüttelte den Kopf. »Der Erhaltungszustand ist katastrophal. Die Seiten kleben aneinander. Da scheint mir die Leichenflüssigkeit schuld zu sein. Er lag ja förmlich darauf, und gerade diese Stücke haben am meisten abbekommen.«
Kröger schüttelte sich. »Brr, danke für diese Informationen. Ich wollte nachher noch essen.«
»Na, wenn dir das schon den Appetit verdirbt, was soll ich meinen Jungs denn sagen, die über den Papieren brüten und versuchen, wenigstens einiges wieder lesbar zu bekommen?«
»Bestell ihnen mein Mitgefühl.« Kröger nahm die Papiere an sich. Langsam wurde die Akte Reedicher Schloss immer umfangreicher. »Wann hast du wieder was für uns?«
Der Laborleiter schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Horst, wenn ich in die Zukunft schauen könnte, dann würde ich Lotto spielen und nicht mehr hier sein.«
»Du ohne dein Labor? Geht ja gar nicht!« Kröger grinste. Mit Vollert verließ er die Räume der Spurensicherung.
11
Die Zeit bis zur Besprechung mit den angekündigten Spezialisten verging rasend schnell. Ihr Mittagessen nahmen Kröger und Vollert in Rekordzeit ein. Nicht, dass es ihnen nicht schmeckte, so leicht waren sie nicht zu erschüttern, nein, sie wollten bis zum Nachmittag einen Fragenkatalog ausgearbeitet haben.
Von Schneider war nichts zu sehen und zu hören und keiner der beiden vermisste ihn.
Als sie das Dienstzimmer ihres Chefs betraten, waren die Spezialisten schon anwesend. Eine Frau mit blonder Kurzhaarfrisur, mittelgroß und schlank, erhob sich und reichte Kröger lächelnd die Hand. Kleine Grübchen unterstrichen den liebenswerten Eindruck, den sie machte.
»Ewa Bednarek.« Ihre Stimme hatte einen leicht rauchigen Klang.
Kröger stellte sich und seinen Kollegen mit seinem charmantesten Lächeln vor.
Kriminalrat Södermann wies erst auf die Frau, dann auf einen Herrn, ebenfalls Mitte 30, dessen
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