Sonea - Die Heilerin: Roman
des Turms hatte auf Akkarins Vorschlag hin vor der Invasion der Ichani begonnen. Danach war er fertiggestellt worden, und einige Alchemisten hatten ihn für ein paar kurze Jahre benutzt, um das Wetter zu studieren. Schließlich lieh man ihn der Wache für Trainingszwecke, unter der Auflage, dass er gewartet wurde und stets besetzt sein würde.
Obwohl die Wache klargemacht hatte, dass sie Lorandra in ihrem Gefängnis nicht wollte, hatte sie deren Bewachung im Ausguck bereitwillig übernommen. Also war es eindeutig nicht die Tatsache, dass Lorandra eine Magierin war, was der Wache zu schaffen machte. Es leuchtete ihr ein, dass eine Bewachung des Turms, sollte Skellin eine Rettungsmission anstreben, einfacher sein würde als die des städtischen Gefängnisses. Sonea wusste, dass das Problem der Bestechlichkeit unter den Wachen schon früher dazu geführt hatte, dass Gefangene entkommen waren. Die Gefahr, dass sie Lorandra freiließen, war geringer, wenn sie von einer kleineren Gruppe bewacht wurde, von Männern, die sorgfältig aufgrund ihrer Loyalität und Vertrauenswürdigkeit ausgewählt wurden.
Oder vielleicht weiß die Wache auch, dass die Gilde weiterhin einen Magier abstellen wird, um Lorandra zu bewachen. Wie lange würden Magier sich bereitfinden, die Frau zu bewachen, wenn sie es in dem schmutzigen, unangenehmen städtischen Gefängnis tun müssten?
Nachdem Sonea aus der Kutsche gestiegen war, blickte sie zu dem Gebäude auf, und ein kleiner Stich der Traurigkeit durchzuckte sie. Hätte es dich gefreut, dass wir den Turm fertiggestellt haben, Akkarin?, dachte sie. Oder war er nur als Ablenkung gedacht, um die Aufmerksamkeit der Gilde von dir fernzuhalten, wie manche es glauben?
Es war ein schlichtes Gebäude, nur ein runder Turm, der doppelt so hoch war wie die ihn umgebenden Bäume. Die Mauern waren glatt, die Fenster klein – das erinnerte sie an das Fort mit seinen Mauern aus magisch gebundenem Stein und seinen winzigen Fenstern. Rund um den Turm waren Wachen postiert. Eine von ihnen, die neben der schweren Holztür stand, verbeugte sich, als sie näher kam, und öffnete ihr die Tür.
Sie trat in einen großen, von mehreren kleinen Lampen erhellten Raum. Zwei weitere Wachen und ihr Hauptmann erhoben sich und verneigten sich. Sie hatten zusammen mit einem jungen Krieger, der Sonea respektvoll zunickte, an einem Tisch gesessen.
Der Hauptmann trat vor und verneigte sich abermals.
»Schwarzmagierin Sonea. Ich bin Hauptmann Sotin«, sagte er.
»Ich bin hier, um die Gefangene zu sprechen«, erklärte sie.
»Folgt mir.«
Er führte sie eine Wendeltreppe hinauf und blieb vor einer Holztür stehen, in die man jüngst eine kleine Luke geschnitten hatte. Nachdem er die Luke geöffnet hatte, bedeutete er ihr hindurchzuschauen. Sie sah ein Bett und einen Schreibtisch und eine vertraute alte Frau mit rötlicher Haut, die auf einem Stuhl saß. Lorandras Aufmerksamkeit war auf etwas in ihren Händen gerichtet.
»Schwarzmagierin Sonea ist hier, um Euch zu sprechen«, verkündete der Hauptmann, dessen Stimme laut in Soneas Ohren klang.
Die Frau schaute auf und starrte, ohne das Gesicht zu verziehen, auf die Luke. Dann senkte sie den Blick wieder auf ihre Hände, die sich noch immer bewegten.
»Sie spricht nicht viel«, sagte der Hauptmann entschuldigend.
»Das hat sie noch nie getan«, erwiderte Sonea. »Schließt die Tür auf.«
Er gehorchte, nahm einen Schlüsselring von seinem Gürtel und öffnete die Schlösser. Zwei Schlösser, bemerkte Sonea. Sie muss sie wirklich nervös machen. Sonea trat in den Raum und hörte, wie die Tür hinter ihr geschlossen wurde. Lorandra schaute wieder auf und bedachte Sonea mit einem harten Blick, bevor sie ihre Aufmerksamkeit erneut auf den Gegenstand in ihren Händen richtete. Sonea sah genauer hin und stellte fest, dass es sich um eine Art Stoff handelte, den die Frau mit dickem Zwirn und einem kurzen, gebogenen Draht herstellte. Die Geschwindigkeit, mit der der improvisierte Haken sich durch den Rand des Stoffes bewegte und ständig neue Maschen anknotete, ließ auf jahrelange Übung schließen.
»Was tut Ihr da?«, fragte Sonea.
Lorandra betrachtete sie mit schmalen Augen. »Es nennt sich ›binda‹, und die meisten Frauen in meinem Heimatland verstehen sich auf dieses Handwerk.«
Der Stoff bewegte sich in ihren Händen, und Sonea sah, dass es eine Art Schlauch war. Überrascht und ermutigt durch Lorandras Bereitschaft zu sprechen dachte sie darüber nach, wie sie
Weitere Kostenlose Bücher