Sonea - Die Hueterin
versucht sich einzureden, dass sein Freund sie deshalb nicht gefunden hatte, weil sie sich erfolgreich versteckte, und nicht, weil ihre Leiche niemals gefunden oder erkannt worden war.
Kurz vor dem Ende der Gasse blieb er stehen und hämmerte gegen eine Tür. Nach einem kurzen Moment der Stille schwang die Tür nach innen auf, und ein Mann mit einem vernarbten Gesicht geleitete sie hinein. Eine bekannte Frau trat aus einer Nebentür, um ihn zu begrüßen.
»Donia«, sagte Cery und brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Was machen die Geschäfte?«
»Das Übliche«, antwortete sie und hob den Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln. »Schön, dich wiederzusehen. Ich habe die Räume so eingerichtet, wie es dir gefällt. Sie wartet dort oben.«
»Danke.«
Er und Gol gingen die Treppe hinauf. Die Sorge machte ihn reizbar, und er konnte nicht umhin, durch Türen und um Ecken zu spähen, auf der Suche nach einem möglichen Hinterhalt. Obwohl Cery nicht glaubte, dass Donia ihn freiwillig verraten würde, hielt er es doch niemals für ausgeschlossen, dass jemand sich daran erinnern könnte, dass sie in ihrer Jugend Freunde gewesen waren, und ihm in ihrem Bolhaus eine Falle stellte. Oder ihm nachspionierte. Wenn er Versammlungen abhielt, ließ er Donia stets die Räume im oberen Stock zu beiden Seiten seines Zimmers und darunter freimachen, damit niemand lauschen konnte.
Als er die Tür zu demselben Raum erreichte, in dem er sich das letzte Mal mit Anyi getroffen hatte, sah er sie zu seiner Erheiterung in genau der gleichen Position dasitzen wie bei ihrer vorangegangenen Begegnung. Ohne sich eine Regung anmerken zu lassen, folgte er Gol hinein. Der große Mann sah sich im Raum um, dann schloss er die Tür. Cery betrachtete seine Tochter genauer.
Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe, und sie schien noch dünner geworden zu sein, aber ihr Blick war scharf und furchtlos.
»Anyi«, sagte er. »Ich freue mich zu sehen, dass du dich aus Schwierigkeiten heraushalten konntest.«
Ihre Mundwinkel zuckten. »Es ist auch schön zu sehen, dass du noch lebst. Hattest du Glück bei der Suche nach dem Mörder meiner Brüder?«
Ein vertrauter Stich des Kummers durchzuckte ihn. »Ja und nein.«
»Und das bedeutet was?«
Cery unterdrückte einen Seufzer. Auch ihre Mutter hatte nichts übrig gehabt für ausweichende Antworten.
»Ich habe jemanden verfolgt, aber bevor ich ihn gefangen habe, kann ich mir nicht sicher sein, ob es die richtige Person ist.«
Sie schürzte die Lippen und nickte. »Warum hast du zugelassen, dass auf der Nordseite Glühhäuser eröffnet wurden?«
Er blinzelte überrascht. »Das habe ich nicht getan.«
»Du weißt nichts davon?« Sie zog die Augenbrauen hoch und richtete ihre Aufmerksamkeit auf Gol.
»Er
weiß es nicht?«
»Nein.« Cery sah Gol an. »Aber jetzt wissen wir es.«
»Du wirst sie schließen lassen?«
»Natürlich.«
Sie runzelte die Stirn. »Aber du wirst es nicht selbst tun, nicht wahr? Nicht persönlich.«
Er zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich nicht. Warum fragst du?«
»Eins hat neben dem Haus geöffnet, in dem ich gewohnt habe. Das ist der Grund, warum ich jetzt nicht mehr dort wohne. Sehr, sehr unangenehme Leute. Ich habe sie mit den früheren Bewohnern reden hören. Die Wände sind so dünn, dass es schwer war, nicht zu lauschen.« Sie kniff die Augen zusammen. »Sie haben dem Mann erklärt, dass sie sein Haus und den Laden übernehmen würden. Sie sagten, wenn er irgendjemandem davon erzähle, würden sie ihm und seiner Familie Dinge antun. Da war eine Frau mit einem seltsamen Akzent - nichts, was ich je zuvor gehört habe. Sie sagte etwas, woraufhin der Stiefelmacher zu brüllen begann. Anschließend, als sie fort waren, hörte ich den Schuhmacher seiner Frau erzählen, was geschehen war, als sie nach Hause kam. Er sagte, sie hätten ihm mit Magie Schmerzen zugefügt.« Anyi sah Cery durchdringend an. »Hältst du das für möglich, oder haben sie nur eine List angewandt?«
Cery hielt ihrem Blick stand.
Wenn das die wilde Magierin ist... wenn sie der Jäger ist... schlängelt sie sich dann näher an Skellin heran, indem sie für seine Feuelverkäufer arbeitet?
»Ein seltsamer Akzent«, wiederholte er.
»Ja.«
»Konntest du einen Blick auf sie werfen?«
»Nein. Aber in der Stadt kursieren schon seit Jahren Gerüchte über wilde Magier. Es ergibt durchaus Sinn, wenn es sich dabei um Fremdländer handelt. Magier, die nicht aus den Verbündeten Ländern stammen, werden nicht
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