Songkran
Darunter waren Freunde, aber auch Unbekannte.
Ein junger Mann rief herauf, dass sie das nasse T-Shirt ausziehen solle. Ohne ihren Grips anzustrengen, kam Pui dieser Bitte nach und streifte den durchnässten Stoff über ihren Kopf. Ähnlich einer Striptease-Tänzerin wedelte sie mit dem Hemd in der Luft und schmiss es in die Menge. Die Zuschauer applaudierten und pfiffen ihr zu.
„Ausziehen! Ausziehen!“, brüllten die jungen Leute ihr entgegen.
Anstatt Pui zur Vernunft zu bringen, animierten ihre Freundinnen sie, mit ihrem erotischen Tanz weiterzumachen.
Von allen Seiten erreichten sie Bestätigung und Anerkennung. Innerhalb weniger Minuten war sie zum Star geworden. Das Rampenlicht forderte seinen Tribut. Sie knöpfte den Verschluss des BHs am Rücken auf und ließ das Teil auf den Boden fallen.
Handies mit integrierter Videofunktion nahmen die halbnackte Pui ins Visier und bannten sie auf digitale Speicherträger. Noch am selben Abend kursierten Aufnahmen von Puis nacktem Busen im Internet und wurden unzählige Male bei Youtube angeklickt. Der Skandal war da. Das prüde Thailand war geschockt. Die Zeitungen und Fernsehstationen widmeten ausführliche Beiträge dem Mädchen, das Schande über ein ganzes Land gebracht haben soll. Die Empörten sprachen von einer amerikanisierten Jugend ohne Wertefundament. Weniger Aufgeregte grinsten verschmitzt, konnnten die Welt nicht mehr verstehen und stellten unangenehme Fragen: Wie konnte ein halbnacktes Mädchen die Ehre einer ganzen Nation in den Schmutz ziehen, wenn das altehrwürdige Bangkok bei Tag und bei Nacht die Prostituierten und Freier anzog wie der Honig die Bienen. Oder wie konnte der blanke Busen einer Schülerin zum Politikum werden, wenn in den unzähligen Gogo-Bars von Bangkok bis Phuket nackte Mädchen ihre Haut feilboten.
Am Tag nach Songkran stellte sich Pui der Polizei. Im Beisein ihrer Eltern wurde in der Zentrale der zuständigen Metropolitan Police Division eine Pressekonferenz abgehalten. Die Schülerin entschuldigte sich für ihr schamloses Verhalten. Sie beteuerte, keinen Alkohol vor ihrer Tat getrunken zu haben. Mit ihrer Aussage wolle sie potentiellen Nachahmern ins Gewissen reden.
Im Zuge dieser Affäre ließ der amtierende Kultusminister ein Bild entfernen, das auf der Webseite seines Ministeriums abgebildet war. Wohlmöglich, so rechtfertigte er seinen Aktionismus, habe dieses Gemälde das Mädchen von der Silomroad in ihrem Fehlverhalten beeinflusst. Das Aquarell zeigte drei barbusige Grazien, die nur mit einem traditionellen Pasin um die Hüften bekleidet waren. Die drei Schönheiten hießen das buddhistische Neujahrsfest Songkran willkommen.
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