Songkran
Laternenmast stoppte die Fahrt. Der Motorradhelm, eine schaumstoffverstärkte Plastikhalbschale, verformte sich beim Aufprall wie Kaugummi. Olarn trug diese merkwürdige Kopfbedeckung, um der gesetzlichen Helmpflicht Genüge zu tun. Die Folgen eines Unfalls hatte er nie in Betracht gezogen.
Zeugen des Unglücks gaben zu Protokoll, dass die verhängnisvolle Attacke von einer Gruppe Jugendlicher ausgeführt wurde, die auf der Ladefläche eines Pickups krakelt hatte. Ohne von Olarns Sturz Notiz zu nehmen, seien die jungen Leute ihres Weges gefahren. Wohlmöglich hatten sie in ihrer Partylaune Olarns Sturz übersehen oder dessen Schwere unterschätzt.
Später vermerkte die Polizei im Polizeiprotokoll, dass der Verkehrsunfall ein Songkran-Unfall gewesen war. In der offiziellen Statistik war es der Tödliche Unfall Nummer 7, dem weitere 244 Zwischenfälle gleicher Tragik folgten, bis im ganzen Land die Songkran-Feiern beendet waren.
Die Aufklärungskampagne der Regierung, die in unzähligen Fernsehspots für ein sicheres Songkran-Fest geworben hatte, war an der Uneinsichtigkeit der Thailänder verpufft. Das Entsetzen über den hohen Blutzoll war groß im Königreich und die folgenden Diskussionen lebhaft.
Reflexartig wurde den Polizeibehörden der schwarze Peter zugeschoben, da die Verkehrskontrollen zu wenig und nur halbherzig gewesen seien. Die alte Forderung war unüberhörbar, stärkere Kontrollen einzuführen, um den Alkoholmissbrauch jugendlicher Partygänger strikt einzudämmen.
Im Unterbewußtsein der Bevölkerung waren diese Schuldzuweisungen jedoch ein Zeichen der eigenen Ohnmacht. Ein kollektives Versagen hatte in den letzten Jahrzehnten um sich gegriffen und ermöglicht, dass das Land während Songkran in Geiselhaft genommen wurde. Ein fröhliches Miteinander war einer zunehmenden Intoleranz der Feiernden gewichen. Die Jagd mit Wassereimer und Wasserpistole auf Unbeteiligte, die zu Fuß oder motorisiert unterwegs waren, hatte sich zu einem Volkssport entwickelt, den sich die Jugend und andere Junggebliebene nicht mehr nehmen lassen wollten, Polizeikontrollen hin oder her.
10 Uhr 30
„Erzählen Sie mir, was letzte Nacht schief gelaufen ist?“, fragte Thanee, dessen Blick von Mex abgewendet auf eine Medizinkladde gerichtet war.
„Der Chinese ist Amok gelaufen, Sir“, antwortete Mex, der sich am dreieckigen Haltegriff über seinem Bett nach oben zog und seinen Oberkörper sachte nach hinten bettete. Deutlich war ein Hauchen der Erleichterung im Raum zu hören.
„Das müssen Sie mir erklären!“ Thanee holte die Kladde aus der Halterung und überflog das Formblatt mit den ärztlichen Eintragungen.
„Der Typ war von Anfang an auf Yaba, Sir. Ich bin so um 23 Uhr in der Khaosan gewesen, da war der Chinese schon zugedröhnt.“
„Gun und das Mädchen?“, erkundigte sich Thanee mit einem Kopfschütteln über die ärztliche Schrift auf der Kladde, die er nicht entziffern konnte.
„Gun war…“ Mex verstummte.
Die Tür ging auf und eine zierliche Krankenschwester trat ins Zimmer. Im Vorbeigehen nahm sie die Kladde aus Thanees Händen und steckte sie zurück in die Halterung an der Kopfseite des Bettes.
„Haben Sie Schmerzen, Herr Inspektor? Nach dieser OP wäre das kein Wunder, Sir. Sie haben viel Blut verloren“, sagte die junge Frau.
„Ein wenig. Was ist denn mit dem Schlauch hier?“ Mex lächelte der Schwester zu und fasste an den Schlauch, der unter einem Verband an seiner Schulter hervortrat und in einer Plastikflasche mündete, die zur Hälfte mit blutigem Sekret gefüllt war.
„Die Drainage an Ihrer Schulter wird morgen oder übermorgen entfernt. Das muss der Chefarzt entscheiden“, antwortete sie Mex, der weiterhin lächelte. Unbewußt fuhr sie mit der Hand über ihren hellblauen Rock, um eine kaum existierende Falte glatt zu streichen.
„Wann kommt der Chefrarzt?“, schaltete sich Thanee ein, der mit dem Rücken zum Bett stand und zum Fenster rausschaute. Mit vor der Brust verschränkten Armen starrte er hinunter auf den Royal Bangkok Sports Club , auf dessen gepflegter Grünanlage, zwischen kleinen Teichen und wenigen Palmen, sich Golfer in der prallen Vormittagssonne tummelten.
„Die Visite ist um elf, Sir“, antwortete die Schwester, während sie die Infusionsschläuche an Mex‘ Arm kontrollierte. „Wenn Sie Schmerzen haben, klingeln Sie bitte.“
Sie verließ das Zimmer. Zeitgleich mit dem Zuziehen der Tür wandte sich Thanee Mex zu.
„Wir haben also
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