Songkran
der Premierminister am Vortag offiziell ernannt hatte. Das Titelfoto zeigte Porphant, der fotogen in die Blitzlichter der Kameras lächelte. Ein gutaussehender Mittdreißiger, dessen politische Bedeutung als Führer der Chonburie-Faktion den Politikanalysten der Bangkok Post bewußt war. Auf zwei Zeitungsseiten wurden die Motive des Premierministers für diesen intelligenten Schachzug erörtert. Ein Gastkommentator der Chulalongkorn Universität wagte sogar den Ausblick, dass Porphant das Potential zum neuen Kronprinzen des Premiers haben könnte.
Der Deutsche überflog die Artikel des innenpolitischen Teils bis ihm auf Seite 4 das Farbfoto eines grauhaarigen Mönchs ins Auge stach. Eine auffällige, goldumrandete Brille schmückte das Konterfei des frommen Mannes, dessen Ermordung die Behörden in Erklärungsnot brachte. Das Department of Special Investigations , allgemein mit DSI abgekürzt, stand unter massiver Kritik, da es über ein Jahr lang einer falschen Fährte gefolgt war. Eine angebliche Liebesaffäre des Mönches und pornografische Fotos auf dessen Computerfestplatte genügten, um das Ermittlungsteam des DSI in die Irre zu leiten. Ein DSI-Mitarbeiter sprach selbstkritisch von einer Sexobsession seiner Kollegen. Als ob die Blamage für das DSI nicht groß genug gewesen wäre, schlummerte auf der Festplatte des Opfers eine Intrige. Das Ministerium für Informations- und Kommunikationstechnologie hatte nach eingehender Überprüfung der Hardware festgestellt, dass ca. 4000 Dateien nach dem Tode des Mönchs dem Computer zugefügt worden waren; darunter befanden sich 1120 Fotos. Sexobsession hin oder her, das DSI stand nach Bekanntwerden unter enormen Erfolgsdruck und musste den Fall komplett neu aufrollen. Ein besser qualifiziertes oder weniger voreingenommenes DSI-Team sollte nun den Karren aus dem Dreck ziehen.
Auf Seite 8 der Post blieb der deutsche Hotelgast an der politischen Karikatur hängen, die fast ein Viertel der Seite einnahm. Der Premierminister spielte die Hauptrolle, unschwer zu erkennen an seinen ovalen Gesichtszügen. Ort der Szene war eine Buchhandlung. Der Premier karrte mit einer Schubkarre den kompletten Bestand einer kritischen Biografie über seine Person aus dem Buchladen. Der Buchhändler konnte einen verdutzt dreinblickenden Kunden nur mit den Worten „sorry, it´s sold out“ vertrösten.
Der Deutsche legte die Zeitung auf den warmen Steinboden und erhob sich von seiner knochenharten Unterlage. Die Mittagssonne brannte. Die Palmwedel hatten ihre Funktion als Schattenspender verloren. Er ging an der Längsseite des Swimmingpools vorbei, die sich über 20 Meter erstreckte. Der älteste Hotelpool in Bangkok, so die Hotelbroschüre, lag verwaist unter südostasiatischer Sonne. Anfang der 1950er Jahre hatte der Hotelgründer dieses gigantische Schwimmbecken bauen lassen, dessen Ausmaße, auch heute noch, die Hotelgäste beeindruckt. Der Zahn der Zeit hatte deutliche Spuren hinterlassen. Die Fliesen des Pools waren vergilbt, zerbrochen oder fehlten komplett. Das Plätschern des Frischwasserzulaufs stammte aus Duschköpfen, die über dem rechteckigen Becken angebracht waren und ununterbrochen auf die Wasseroberfläche rieselten. Das Geräusch des sanften Regens vermengte sich mit dem Lärm der angrenzenden Hauptstraße. Der Eindruck der tropischen Oase inmitten des urbanen Molochs Bangkok revidierte sich.
Unter einem flachen Verandadach schlenderte der Deutsche an einer Bildergalerie entlang, die ihn auf eine Zeitreise in die fünfziger Jahre entführte. Die DIN-A3 großen Schwarzweißfotografien waren in einer Reihe aufgehängt. Sie präsentierten dem Betrachter Schnappschüsse des Hotels, als dieses und sein Garten ein beliebter Treffpunkt der Farangs in Bangkok war. Europäische Gäste in Abendgarderobe flanierten in der Nähe des Hotelpools und erzeugten eine spätkoloniale Atmosphäre. Ein hoteleigener Filmprojektor im Garten präsentierte die legendären Stars von MGM unter freiem Nachthimmel. Wo heute eine asphaltierte Autostraße das Hotelareal nach Westen begrenzt, lagen vor fünfzig Jahren idyllische Reisfelder und Wochenendvillen reicher Thais. Trauer um eine verlorene Zeit stellte sich ein. Die Patina der Fünfziger Jahre hatten die Nachfahren des deutschen Hotelgründers bis in die Gegenwart bewahren können. Um diese vermeintliche Unschuld der Vergangenheit zu beschützen, prangte am Hoteleingang ein großes Schild mit der Aufschrift no sex tourists , ein Slogan, der im
Weitere Kostenlose Bücher