Songkran
angehenden 21sten Jahrhundert in Steinwurfnähe zur Nana Plaza wie kindliche Naivität anmutete.
Die Mausefalle
Samstagvormittag
Mit einem tiefen Wai verabschiedete sich Mr. Wang von den chinesischen Göttern, die auf der Altarfläche aufgestellt waren. Als kleine Figuren nachgebildet, belebten diese den reichhaltig mit Blumen und Kerzen geschmückten Altar des Schreins. Filigran waren die Miniaturen der daoistischen Gottheiten aus Elfenbein geschnitzt. Im aromatischen Duft glimmender Räucherstäbchen kniete der alte Mann jeden Morgen auf einem weichen Kissen vor dem Altar, dessen goldene Verzierungen durch das klare Licht des frühen Vormittags erhellt wurden. In sich gekehrt hielt er Zwiesprache mit dem Jadekaiser, dem Herrscher über Himmel und Erde. Er bat das Oberhaupt des chinesischen Universums um Schutz für seine Großfamilie und sein reichhaltiges Vermögen. Seit seiner Kindheit in den 1920er Jahren pilgerte er regelmäßig zum Siang Kong Schrein in der Song Wat Road. In seinem hohen Alter von 85 Jahren war er auf die Hilfe eines Rollators angewiesen. Seine Arthritis in den Kniegelenken wurde von Jahr zu Jahr schlimmer. Angst, bald nicht mehr laufen zu können, bestimmte seine Gedanken.
Mr. Wang wechselte ein paar Höflichkeitsfloskeln mit dem alten Hausmeister des Schreins, der zwischen Säulen, die mit furchterregenden Drachenmotiven verziert waren, den Steinboden fegte. Die Männer sprachen Hokkien, einen der fünf chinesischen Dialekte in Thailand. Einst die dominierende Dialektgruppe in Siam, verloren die Hokkiens im 19ten Jahrhundert kontinuierlich ihre demografische Vorherrschaft, während die Teochiu zur bevölkerungsreichsten, chinesischen Ethnie aufstiegen.
Mr. Wang tätschelte dem weiblichen Wächterlöwen am Eingang den Kopf. Drollig schaute ihm die grellbunte Steinfigur entgegen, die gemeinsam mit dem männlichen Löwen zur Abwehr böser Geister eingesetzt wird.
Bedächtig schlüpfte Mr. Wang in seine Schlappen und tippelte durch das Tor hinaus auf den Bürgersteig. Dort hatte er seinen Rollator geparkt. Das Gewerbe der Schrott- und Eisenhändler, im Dialekt der Hokkien Siang Kong genannt, war in diesem Teil von Chinatown seit über 100 Jahren ansässig und hatte dem Schrein den Namen gegeben.
Mr. Wang kannte die Menschen, die in ihren kleinen Familienbetrieben der Metallverarbeitung nachgingen. Die meisten gehörten zu der Dialektgruppe der Hokkien-Chinesen, deren Ursprung in der südchinesischen Küstenstadt Amoy zu finden ist.
Auf seinem kurzen Weg zurück zur Hauptstraße passierte er kleine Handwerksbetriebe, die einen Teil ihrer Arbeit auf den Bürgersteig verlagert hatten. Große Trommeln mit dicken Stahlkabeln, die in der Schifffahrt Verwendung finden, zwangen den alten Mann, eine leichte Kurve mit dem Rolllator einzulegen. Respektvoll machten Arbeiter in verschwitzten Unterhemden und abgewetzten Arbeitshosen ihren Wai . Der alte Mann mit der rollenden Gehhilfe zählte zu den angesehensten Persönlichkeiten der Hokkien-Gemeinde in Bangkok.
Nach wenigen Metern im Schatten einer Ladenpassage, lag die vielbefahrene Charoen Krung vor ihm; eine alte, schmale Straße, die sich parallel zum Fluss von Süd nach Nord schlängelt. Der Alte konnte sich noch gut an die Zeit seiner Kindheit und Jugendjahre erinnern, in der die Bewohner Bangkoks diese Straße New Road nannten. Der englische Name spiegelte die Entstehungsgeschichte der Straße wieder, die einst ein Elefantenpfad gewesen war und Mitte des 19ten Jahrhunderts in eine asphaltierte Straße umgebaut wurde.
Schwer lasteten die Abgase des Straßenverkehrs im schmalen Korridor der Charoen Krung. Wie jeden Vormittag nach der Schreinvisite, wurde Mr. Wang von seiner Lieblingsschwiegertochter an der Ecke Song Wat Road erwartet. Sie war die Frau seines ältesten Sohnes, mit dessen Familie Mr. Wang sich das alte Familienhaus teilte. Ihre Aufgabe bestand darin, den alten Mann unbeschadet zum gegenüberliegenden Bürgersteig zu geleiten.
Der konfuzianischen Tradition folgend, kümmerte sich der älteste Sohn um den Vater. Zusätzlich fiel die umfangreiche Ahnenverehrung in dessen Verantwortungsbereich. Die Leitung des Familienunternehmens teilten sich Sohn Nummer 1 und Sohn Nummer 2 brüderlich. Seit fünf Jahren residierten die beiden Wangs in einem luxuriösen Büro im Zentrum von Bangkok und herrschten von dort über die Import- und Exportkontrakte der Firma Wang Trading Corporation Co. Ltd.. Der Handel mit Gold, Edelsteinen
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