Sonne, Schnee und Tote
herum, fand einen leeren Notizzettel und schrieb seine Diensttelefonnummer
darauf. Danach wandte er sich Niandee Nasingh zu und sagte: „Das ist meine
Nummer. Ich muss jetzt gehen, wenn Sie noch irgendwelche Informationen haben,
Ihnen irgendetwas zu dieser Sache einfällt oder Sie sonst irgendetwas loswerden
wollen, rufen Sie mich an.“
Er
schenkte der jungen Frau ein Lächeln, danach schob er seinen Körper ohne
weiteren Kommentar sowohl an Joos Braansman als auch dessen Kollegen vorbei, um
in den Regen hinaus und zu seinem Wagen zu eilen. Er hörte den Hauptkommissar
noch rufen: „Was für eine Respektlosigkeit! Das hat ein Nachspiel, Bloemberg,
Sie werden sehen. Vorschriften sind keine Richtlinien, die man mal so eben
überschreiten kann. Sie bewegen sich da auf sehr dünnem Eis, Inspecteur …“
Braansman
ließ noch einige Sätze fallen, aber Bloemberg war schnell außer Hörweite und
dankbar darüber. Im Dauerlauf legte er die Strecke zu seinem Dienstwagen
zurück.
Minuten
später verließ er den Stadtteil Feyenoord mit grimmig lächelnder Miene. Zum
einen beschäftigte ihn die Frage, weshalb Karim Abusif abgetaucht war und seine
„geliebte“ Großmutter zurückgelassen hatte, zum anderen hatten Unbekannte,
während seiner Anwesenheit in Karims Wohnung, den Außenspiegel seines Wagens
auf der Fahrerseite gewalttätig entfernt und mit einer Sprühdose unflätige
Polizeinamen auf das gesamte Auto geschmiert. Auf der Motorhaube zierte der in
den Vierteln beliebte Ausspruch „ Broomsnor, je bend lelik “ das Auto.
Eine böse Beamtenbeleidigung, die richtig teuer, hin und wieder sogar
schmerzhaft werden konnte, wenn man sie einem Polizisten ins Gesicht sagte.
Bloemberg
erinnerte sich dabei daran, dass auch er als Jugendlicher mehrmals Ähnliches
verbrochen hatte und ertappte sich dabei, wie er sich der Aufregung, der
Genugtuung und des Nervenkitzels von damals entsann.
„Tja,
mein Freund, jetzt stehst du auf der anderen Seite und musst deinem
Vorgesetzten erklären, was mit deinem vierzigtausend Euro teuren Polizeiwagen
passiert ist“, seufzte er und bahnte sich seinen Weg über die Erasmus-Brücke in
Richtung nördliches Stadtzentrum. Dabei drehte er die Musik auf, bis der
unvergleichliche Sound von Linkin‘ Park durch das gesamte Wageninnere
dröhnte. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass er bald mehr mit seiner
eigenen Vergangenheit konfrontiert werden würde, als jemals zuvor.
***
16:27
Wilhelmina-Pier
Ein
Sanitäter kümmerte sich um den an der Kühlraumwand zusammengesackten Nasridim
Hadosh. Hauptkommissar Van Houden hörte schwach das Stöhnen, das der
Fleischfabrikant von sich gab, während der Sanitäter einen Druckverband an
dessen Arm anlegte. Aber eigentlich zog etwas ganz anderes im Raum Nicolas‘
Aufmerksamkeit auf sich. Seit Minuten bewegte er sich mit bedächtigen Schritten
kreisförmig darum herum. Eine Zeit lang fehlten ihm die passenden Worte und so
schwieg Van Houden, während er versuchte, seine Schlüsse aus diesem Schlamassel
zu ziehen. Schließlich räusperte er sich überlaut und fixierte Hadosh mit dem
Blick, den all seine Kollegen als „Die Ruhe vor dem Sturm“ bezeichneten. Mit
langen Schritten, die im leeren Lagerraum widerhallten, überwand er die
annähernd zehn Meter Distanz.
„Ich
frage mich“, begann er, als er einen Meter vor dem Sanitäter und Hadosh zum
Stehen kam und sich dabei am Kinn kratzte, „ob dem etwas beleibteren toten
Menschen auch schon das halbe Gesicht fehlte, bevor er sich zum Sterben in dein
Lagerhaus gelegt hat …“
Nasridim
starrte finster zu ihm auf, aber das vermochte den Hauptkommissar nicht aus dem
Konzept zu bringen.
„Die
Sache ist die, Nasridim“, sagte er und atmete danach einmal tief ein, als würde
er zu einer längeren Rede anheben. „Es sieht ziemlich danach aus, als hätte
jemand dem Kerl nicht nur eine Kugel von vorn in den Kopf geschossen.“
Van
Houden wartete auf eine Reaktion auf diese Feststellung, aber Hadosh sagte
weiter nichts.
Wäre
auch zu einfach gewesen, wenn du kooperiert hättest, alter Sturkopf , dachte der Hauptkommissar und seufzte.
„Nun,
mein alter Freund, ich will es mal so ausdrücken. Einige unserer besten
Polizisten und dazu zähle ich nur sehr wenige, schaffen bei unseren regelmäßig durchgeführten Schnellschussübungen auf einer Distanz
von zwanzig Metern aus der Bewegung 80 von 100 Ringen. Das sind bei zehn
Schüssen je zwei Fehlschüsse, wenn man es mal so salopp sagen
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