Sonne, Schnee und Tote
Tür schieben, als dieser ihm sehr
bestimmt mit dem gesunden Arm den Weg versperrte. Aus seinen Augen funkelte
eine Boshaftigkeit, die Nicolas van Houden zuletzt vor etlichen Jahren gesehen
hatte.
„Wenn
du mir nicht hilfst, mein Freund, wirst du nicht mehr lange genug
Hauptkommissar sein, um überhaupt noch jemanden zu benachrichtigen. Ich habe
dir damals aus der größten Scheiße geholfen. Ich denke, du erinnerst dich
daran, oder? Dagegen ist das hier Kindergarten.“
Nasridim
hob erwartungsvoll die rechte Augenbraue. Es dauerte eine Sekunde, bevor der
Hauptkommissar begann, die Worte seines Gegenüber richtig zu deuten.
Droht
Nasridim mir etwa gerade? Und ob .
Elendiger
Dreckskerl!
Van
Houden starrte ihn an. Das war der Gipfel der Dreistigkeit. Nur mit einem
Anflug enormer Selbstbeherrschung hielt er sein Temperament in Zaum und
vermochte abzuwägen, was in dieser Situation das Klügste war. Schließlich
straffte er die Figur und sagte nur.
„Ich
muss Bloemberg anrufen. Wenn ich wieder da bin, will ich wissen, was hier
wirklich passiert ist. Haben wir uns da verstanden?“
Hadosh
nahm den Arm weg.
„Wie
ich sehe, verstehen wir uns, Nicolas.“
***
Der
Anruf des Hauptkommissars erreichte Inspektor Bloemberg noch im Dienstwagen.
Sofort darauf wendete der das Fahrzeug auf einem nahen Supermarktparkplatz und
war Minuten später zum zweiten Mal an diesem Tag am Wilhelmina-Pier.
Ein
Polizist ließ ihn herein. Van Houden geleitete ihn in den Kühlraum, in dem er
sich kurz ein Bild machen durfte. Es war einer der beiden größeren, des
Lagerhauses. Hadosh hatte - so erzählte er es zumindest - nach dem Feuer im
Nebenraum, das gesamte in den übrigen Kühlkammern gelagerte Fleisch in ein
kurzfristig angemietetes Lager am Stadtrand verfrachtet und die Kühlung im
gesamten Gebäude abgestellt. An den in der Decke verankerten Rollschienen
hingen jetzt nur noch lange, leere Fleischhaken und Metallketten. Im Licht der
fahlen Leuchtstoffröhrenbeleuchtung wirkte der Raum, abgesehen von der Leiche,
die in der Nähe des geschlossenen Rolltores an der nördlichen Wand lag und der
man das komplette Gesicht weggeschossen hatte, leer und gespenstig. Der Tote
gab einen unappetitlichen Anblick ab, aber dieser Tag hielt für Bloemberg
offenbar nur eklige Szenen bereit. Er machte daher keine große Sache daraus,
umrundete den Toten und versuchte, sich ein Bild zu machen. Von Spurensicherung
und sonstigem Polizeipersonal fehlte jede Spur, aber auch das vermochte
Bloemberg in diesem Augenblick nicht aus der Ruhe zu bringen. Er hatte die
dringende Befürchtung, dass auch bei diesem Vorfall jedwede geltende
Zuständigkeit einem Sonderermittlungsbeschluss Van Houdens zum Opfer fiel. Er
hasste sein Bauchgefühl dafür, dass es vor allem bei solch zwielichtigen
Befürchtungen fast immer recht behielt. Er hätte es
begrüßt, wenn sein angeborener Instinkt für Sachen, die gehörig stanken, ihn
endlich einmal getäuscht hätte. So jedoch wurde er unmittelbar nach seiner
Tatortbegehung zu einem kurzen, aber sehr eindringlichen Gespräch mit dem
Hauptkommissar und Nasridim Hadosh genötigt. Dabei wurde ihm in aller Schnelle
und mit Nachdruck erklärt , wie sich dieser Fall
darstellte oder vielmehr darstellen würde, sobald Van Houden die Ermittlungen
dazu abgeschlossen hätte. Hadosh hatte in Notwehr einen Fremden auf seinem
privaten Grund erschossen. Es würde keine weiteren Ermittlungen geben und das
schmeckte Bloemberg nicht. Vor allem nicht mit Blick auf das, was in diesem
Lagerhaus bereits am Wochenende vorgefallen war. Diese Sache war faul, wie kaum
etwas, das Kees bislang im Dienst erlebt hatte. Das Schlimmste daran aber war,
dass er unfreiwillig darin verwickelt wurde und nichts dagegen tun konnte. Zwar
protestierte er lautstark und verrückte unsanft einige Möbel im spärlich
eingerichteten Übergangsbüro Hadoshs, erreichte damit aber nichts. Am Ende
drohte ihm Van Houden, aufgrund der begangenen Verfehlungen des heutigen Tages,
offen mit einer sofortigen Suspendierung. Was Bloemberg, angesichts der
Dreistigkeit, mit der Van Houden in diesem Fall Zuständigkeiten, geregelten
Ablauf und Ermittlungsvorschriften mit Füßen trat, nur noch einen spöttisch,
resignierenden Ausdruck ins Gesicht trieb.
***
Weniger
als eine Viertelstunde später warf Bloemberg zeternd die Eingangstür auf und
fuhr zurück zum Polizeirevier. Van Houden hatte versprochen, schnellstmöglich
nachzukommen, sobald alles Nötige
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