Sonne, Schnee und Tote
Eindruck, als wäre Ihnen völlig egal, wie Sie einmal sterben. Klingt
für mich irgendwie nach einer gehörigen Portion Gleichgültigkeit und Gleichgültigkeit,
das kann ich mit Fug und Recht behaupten, ist eine gefährliche Sache.“
„Ist
das also so“, knurrte Bloemberg und nahm einen Schluck Wasser. Ihre
schnörkellose Art war Bloemberg Vortags und vorhin am Telefon bereits
aufgefallen. Eigentlich mochte er Frauen, die nicht um den heißen Brei
herumredeten. Miriam war auch stets geradlinig gewesen, nur fand er Niandees
Direktheit in diesem Moment unpassend. Er musste sich nicht von einer annähernd
Fremden über seine innere Einstellung zu verschiedenen Dingen belehren
lassen.
Möglicherweise
hatte Kees gekränkt das Gesicht verzogen oder etwas zu abwehrend geantwortet,
in jedem Fall schien Niandee erkannt zu haben, dass sie mit ihrem ersten
Kommentar übers Ziel hinausgeschossen war, ruderte aber nur halbherzig zurück.
„Verstehen
Sie mich bitte nicht falsch, Inspecteur“, sagte sie und nahm schnell zwei, drei
weitere Züge.
„Es
ist nur so: Ich arbeite seit meinem Uni-Abschluss für das Regionalradio als
Reporterin, hauptsächlich am Gericht in Feyenoord. Brennpunktviertel,
Gewaltdelikte, Familientragödien, Mietrechtsverletzungen, Sozialhilfebetrug,
Sie wissen schon, das ganze Programm.“
Kees
nickte. Er war Polizist und kannte sich in seiner Stadt aus, darüber hinaus war
er in der Gegend, die - trotz intensiver Maßnahmen seitens der Stadt - noch
immer als Problembezirk galt, aufgewachsen.
„Ich
erinnere mich. Sie erwähnten so etwas.“
„Richtig.“
Zufrieden
legte Niandee den Kippenstummel beiseite und zündete sich eine weitere Zigarette
an.
„Na
ja. Jedenfalls bin ich mittlerweile fest der Überzeugung, Gleichgültigkeit ist
das, was Familien verschiedener Bevölkerungsschichten ins Unglück stürzt und
Leute letztendlich vor das Richterpult bringt.“
Oh
je, eine Weltverbesserin ,
dachte Kees gleich und sagte.
„Hört
sich vernünftig an. Kommt aber auf die Situation an, denke ich.“
„Nein,
genau das ist der Punkt. Gleichgültigkeit ist eine innere Einstellung, die sich
wie ein Krebsgeschwür langsam in alle Bereiche des Lebens einschleicht. Die
Gleichgültigkeit von Verwandten, Nachbarn, Freunden. Vieles, von dem ich
täglich berichte, würde nie passieren, wenn sich Menschen gekümmert hätten.“
Bloemberg
ahnte, worauf diese Diskussion hinauslaufen würde und er hatte kein Interesse
daran. Deshalb schob er dem Ganzen einen Riegel vor und wechselte das Thema.
„Spielen
Sie damit etwa auch auf den Vorfall mit Karim Abusifs Großmutter an?“
Er
musste sie mit dieser Frage schockiert haben, denn sie hielt mit dem Rauchen
inne.
„Himmel!
Nein! Das ist etwas ganz anderes“, wehrte sie entrüstet ab, was Kees aber nur
ein flüchtiges Grinsen entlockte. Er kannte diesen Typ Frauen zu genüge und
wieder fühlte er sich unwillkürlich an Miriam erinnert. Sie war genauso
gewesen, als er sie kennengelernt hatte. Ehrgeizig, voller Tatendrang, mit dem
Willen den Planeten zu retten. Irgendwie war das eine schmerzlich Erkenntnis,
denn er spürte, dass Niandee auch diese Energie ausstrahlte. Eine Energie, die
er gemocht hatte, bis sie nach und nach verschwunden war.
Die
junge Frau, die jetzt bei ihm saß, war jedenfalls zweifelsohne eine engagierte
Reporterin, die in ihrem Alter (er schätzte sie - nun da er Zeit gehabt hatte,
sie genauer zu betrachten - auf ein paar Jahre unter dreißig) noch voller Elan
steckte. Sie schien noch fest daran zu glauben, man könne die Welt verändern,
sofern man sich nur genug anstrengte. Leider war er sicher, dass das in ein
paar Jahren anders aussähe. Spätestens, wenn die Naivität und
Selbstüberschätzung vom Alltagsleben einen herben Dämpfer nach dem anderen
kassiert haben würde.
Bloemberg
bemerkte Niandees Blick und fühlte sich ertappt. Er war gedanklich abgeschweift
und schüttelte den Kopf, um sich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren.
„Also
hat Gleichgültigkeit nichts damit zu tun, dass offenbar niemand gemerkt hat,
dass sich Karim aus dem Staub gemacht und seine pflegebedürftige Oma einfach
zurückgelassen hat?“, fragte Kees, um den peinlichen Moment zu überspielen und
festzustellen, ob sie tatsächlich hinter ihren Aussagen stand und bereit war den
eigenen Standpunkt zu verteidigen.
„Es
ist definitiv etwas anderes“, stellte sie fest. „Wäre es das nicht, würden Sie
mir vorwerfen, ich hätte mich gleichgültig
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