Sonne über Wahi-Koura
ihrem Blick aus. »Ich habe ihn zufällig gefunden und dachte, er könnte Ihnen gefallen. Außerdem ist Ihr Zeitgefühl sicher ein wenig durcheinander. In Europa ist es bestimmt kalt um diese Jahreszeit.«
»Das ist es. Vielleicht liegt sogar Schnee.«
»Ich war vor einigen Jahren auf der Südinsel, in Otago. Dort gibt es auch Schnee im Winter. In unserem Winter, meine ich. Wenn Sie also Heimweh haben, könnte ich ...« Er brach ab.
Helena war verwirrt. Auf dem Hof spielt er das Raubein, doch nun zeigt er eine ganz andere Seite, wunderte sie sich. »Sie würden eine Reise mit mir dorthin machen?«
»Ich würde Sie als Führer begleiten, wenn Sie es wünschen.«
»Danke, ich weiß das Angebot zu schätzen.«
Newman sah sie so eindringlich an wie nie zuvor. Helena wurde heiß und kalt. Was soll das?, dachte sie. Zuletzt habe ich mich so gefühlt, als ich Laurent das erste Mal begegnet bin. Dieser Mann mag mich nicht einmal ...
»Mistress de Villiers?«
Helena schreckte aus ihren Gedanken auf. »Ja?«
»Ich habe gefragt, ob Sie vorhaben, noch länger draußen zu sein.«
Das habe ich nicht gehört. Was ist nur los mit mir? »Wollen Sie lieber allein sein?«
Newman schüttelte den Kopf. »Nein, das ist es nicht. Ich könnte Sie zu einem besonderen Platz führen. Dem Ort, an dem die Maori ihr Neujahrsfest veranstalten.«
»Das tun sie jetzt?«
»Nein, das Neujahrsfest der Maori fällt mit dem Aufgehen der Plejaden zusammen. Wir würden heute niemanden zu Gesicht bekommen, aber ...« Jetzt sah er sie fast schüchtern an. »Ja?«
»Nirgendwo sieht man die Sterne so schön wie an diesem Ort. Außerdem hätten Sie dort auch tagsüber ihre Ruhe. Ich habe Sie hin und wieder auf dem Felsen sitzen sehen.«
»Sarah meinte, es sei gefährlich, dort zu sitzen.«
»Das ist es auch. Man kann leicht abstürzen.«
»Und Ihr Ort ist sicherer? Obwohl es ein Kultplatz der Maori ist?«
»Es ist kein Kultplatz, nur ein Ort, von dem aus man eine herrliche Aussicht hat. Außerdem betrachten die Maori kein Land als ihr Eigentum. Nur an Stätten, wo sie ihre Toten begraben, sollten Sie sich in Acht nehmen.«
»Sie scheinen sich sehr gut auszukennen.«
»Ich lebe schon seit dreißig Jahren hier. Wenn Sie erst so lange hier sind, werden Sie auch Bescheid wissen. Möchten Sie, dass ich Ihnen diesen Ort zeige?«
»Sehr gern!«
Langsamen Schrittes führte Newman sie durch die Spaliere und dann einen Hang hinauf.
Unsicherheit überkam Helena. Ich sollte nicht mit ihm allein unterwegs sein. Erst recht nicht in der Dunkelheit!, dachte sie. Er könnte sonst was von mir wollen. Vielleicht sollte ich Übelkeit vortäuschen und ihn bitten umzukehren. Unsinn!, schalt sie sich sofort. So einer ist der Kellermeister nicht.
Als sie den Weinberg hinter sich gelassen hatten, marschierten sie ein Stück durch den Busch. Überall raschelte es. In den Baumkronen ertönten unheimliche Rufe.
»Schauen Sie hier!«, rief Newman unvermittelt, als sie einen mächtigen Kauri-Baum passierten. Im Lichtschein entdeckte Helena kleine Fledermäuse, die behände auf dem Boden krabbelten.
»Sieht so aus, als hätten diese Tiere keine funktionstüchtigen Flügel mehr«, sagte sie. »Irgendwann müssen sie geflogen sein, oder liege ich falsch?«
»Sie haben Recht. Vorzeiten konnten sie vermutlich noch fliegen«, antwortete Newman. »Aber jetzt haben sie es nicht mehr nötig. Die Insekten, die sie fressen, kriechen zuhauf über den Boden. Wir sind gleich am Ziel.«
Das Dickicht lichtete sich und gab den Blick auf einen Platz frei. Er lag auf einer Felsklippe, von der aus man den gesamten Himmel überblicken konnte. In der Ferne glitzerten Lichter. Sind es wohl Sterne oder Straßenlaternen?, fragte Helena sich.
»Hier feiern die Maori also ihr Neujahrsfest?«
»Ja, immer wenn das Siebengestirn das erste Mal am Himmel erscheint. Sie versammeln sich, spielen auf ihren Muschelhörnern seltsame Melodien und begrüßen so das neue Jahr.«
»Das würde ich mir zu gern mal anschauen.«
»Wenn Sie sich mit den Maori anfreunden, werden Sie vielleicht zu dem Ritual eingeladen. Allerdings ist es etwas schwierig, ihr Vertrauen zu erlangen. Sie haben nichts gegen pakeha, die mit ihnen Handel treiben, aber im Laufe der Jahre haben sich sehr viele Zwischenfälle ereignet, die das Verhältnis zwischen Maori und Engländern belasten.«
»Hat es kriegerische Auseinandersetzungen gegeben?«
»Unter anderem. Aber man hat auch versucht, die Kultur der Maori
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