Sonne über Wahi-Koura
ob das die Männer abschrecken würde?
Während sie den Blick schweifen ließ, entdeckte sie ein Ornament auf dem Boden. Von weitem schien es aus weißen Steinen zu bestehen, aber als Helena näher trat, erkannte sie, dass es große Muschelschalen waren. Sie folgte den geschwungenen Linien bis zu einem hohen Stein. Bei näherer Betrachtung erkannte sie, dass Stufen hineingehauen waren. Erklomm der Häuptling diesen Stein wie einen Thron, um zu seinen Leuten zu sprechen?
Nachdem Helena sich noch einmal umgesehen hatte, stieg sie hinauf. Das Ornament vor ihr entpuppte sich aus dieser Perspektive als kunstvoll gestaltetes Seepferdchen. Hier und da leuchteten bunte Steine, die denen des Maori-Mädchens ähnelten. Wollte die Kleine vielleicht ebenfalls ein Ornament legen? Befand sich Louises Weinberg vielleicht auf heiligem Boden?
»Hier sind Sie also.«
Helena erschrak. Newman lehnte an einem Kauri-Baum. In den Händen hielt er eine kleine Bütte.
»Sind Sie mir etwa gefolgt?«, fragte Helena, während sie von dem Stein herunterstieg.
»Ich habe gesehen, wie Sie am Weinberg vorbeigegangen sind. Da habe ich geahnt, wohin Sie wollten.«
»Madame hat mir verboten, den Weinberg zu betreten«, erklärte Helena. »Aber ich kann einfach nicht im Haus bleiben. Ich habe das Gefühl, dort zu ersticken.« Und das nicht nur wegen der Hitze, fügte sie im Stillen hinzu.
»Das ist verständlich.« Newman schien zu spüren, wie sehr Helena das Verbot mitnahm. »Hören Sie, Madame meint es bestimmt nicht böse. Sie macht sich Sorgen um Sie.«
Helena senkte den Kopf. »Wahrscheinlich.«
Schweigen stellte sich zwischen sie. Helena wäre es in diesem Augenblick lieber gewesen, allein zu sein.
Aber Newman machte keine Anstalten, sie allein zu lassen. Er räusperte sich und setzte die Bütte vor ihr ab.
»Was ist das?«, fragte Helena.
»Wir haben einen Probeschnitt gemacht. Bereits jetzt sind die Trauben hervorragend. Ich dachte mir, dass Sie vielleicht kosten möchten.«
Die Trauben sahen tatsächlich prächtig aus. Helena holte eine hervor, betrachtete sie und roch daran.
»Das wird ein guter Jahrgang.«
Newman lächelte. »Das denke ich auch. Wenn uns das Wetter keinen Strich durch die Rechnung macht, können wir in ein paar Wochen mit der Ernte beginnen.«
Helena kostete eine Weinbeere. Der Saft schmeckte fruchtig mild.
»Die dürfen Sie nicht mehr allzu lange hängen lassen, sonst wird der Wein zu süß.«
Newman lächelte. »Ich weiß. Deshalb werde ich Madame vorschlagen, die Lese ein wenig vorzuziehen.«
Ihre Blicke trafen sich.
Newman räusperte sich vernehmlich. »Ich möchte mich entschuldigen.«
Helena zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Wofür?«
»Dass ich Ihr Können in Zweifel gezogen habe.«
»Und das sehen Sie daran, dass ich geschmeckt habe, wie lange der Wein noch braucht?«
Newman wurde rot. »Nein, natürlich nicht. Ich meine nur, Sie hatten selbst ein Weingut.«
»Das bankrottgegangen ist.«
»Wegen Reblausbefall. Das war Gottes Wille und hat nichts mit Ihrem Können zu tun.«
Helena betrachtete ihn schweigend. Er wirkte verlegen. Und warum dieses plötzliche Zugeständnis? Hatte er ein schlechtes Gewissen?
»Was halten Sie davon, wenn ich Sie zurück zum Haus begleite?«, fragte er schließlich.
Als Helena ihn überrascht ansah, fügte er rasch hinzu: »Wenn Sie möchten, können Sie natürlich auch hierbleiben.«
Obwohl Helena vorhatte, noch eine Weile zu bleiben, erschien ihr die Gelegenheit, mit Newman zu reden, ganz reizvoll. »Na gut, ich nehme Ihr Angebot an.«
Newman hob die Bütte auf und erbot ihr seinen freien Arm.
Helena hängte sich bei ihm ein, und plötzlich erinnerte sie sich daran, wie sie das erste Mal an der Seite von Laurent durch den Kurpark spaziert war. Ein bittersüßer Schmerz durchzog ihr Herz.
Sie verdrängte ihn und fragte Newman: »Kennen Sie die Bedeutung des Seepferdchens?«
»Seepferdchen?«
»Das Gebilde, das mit Muscheln und Steinen auf dem Platz ausgelegt ist. Oder haben Sie das noch nicht bemerkt?«
»Doch, doch. Wahrscheinlich hat es mit einer Gottheit der Maori zu tun.«
»Wie viele Götter haben sie denn?«
»Das ist bei jedem Stamm verschieden. Ich weiß aber, dass der Wassergott Tangaroa von dem hier lebenden Stamm verehrt wird. Wahrscheinlich haben sie das Ornament ihm zu Ehren gelegt.«
Helenas Neugierde war geweckt. Offenbar wusste Newman einiges über die Maori. »Gibt es hier noch andere heilige Orte?«
»Warum fragen
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