Sonne über Wahi-Koura
Freund noch immer aufmerksam umsah. Die Schritte verklangen jedoch im nächsten Augenblick, sodass er sich aufatmend an Manson wandte. »Wir melden uns, sobald wir die Sache hinter uns haben.« Der Bankier nickte nur und eilte davon.
4
Eine Woche nach Prozessbeginn gegen Joe Aroa fand die abschließende Verhandlung statt. Louise hatte lange mit sich gerungen, ob sie diese besuchen sollte. Möglicherweise würde jemand versuchen, die Leute wegen des Weinbaus gegen sie aufzubringen. Aber wenn sie sich nicht blicken ließ, könnte ihr das als Feigheit oder schlechtes Gewissen ausgelegt werden.
Am Morgen ließ sie Didier anspannen und fuhr nach Napier. Vor dem Gerichtsgebäude versammelten sich nicht nur schaulustige Einwohner, auch eine Abordnung der Maori hatte sich eingefunden. Louise wurde heiß und kalt. Wollen sie Ärger machen? Oder Joe zur Rechenschaft ziehen? Obwohl die Krieger neugierig beäugt wurden, hielten die anderen Zuschauer Abstand.
»Didier, stell die Kutsche bitte in einer Seitenstraße ab, sobald ich reingegangen bin!«, wies Louise den Kutscher an. »Nach der Urteilsverkündung wird es vermutlich Tumult geben.«
Als sie vor dem imposanten Gerichtsgebäude Halt machten, verstummte die Menge.
Louise wurde unwohl. Es ist fast so, als sei ich die Angeklagte, fuhr ihr durch den Kopf.
Nachdem sie sich von Didier aus der Kutsche hatte helfen lassen, stolzierte sie erhobenen Hauptes an den Neugierigen vorbei. Hinter ihrem Rücken flammte Getuschel auf. Doch Louise hatte sich noch nie um das Gerede gekümmert, sofern die Leute nicht versuchten, ihr das Leben schwer zu machen.
Obwohl die Fenster im Gerichtssaal weit offen standen, war die Luft stickig und staubig. Louise wählte einen Platz an der Seite, an dem sie immerhin auf eine frische Brise hoffen konnte.
Nach und nach drängten weitere Zuschauer herein. Bald war der Saal zum Bersten gefüllt. Louise sah sich um. Einige Maori hatten es ebenfalls geschafft hereinzukommen. Obwohl sie ordentlich wie Weiße gekleidet waren, hielten die Siedler Abstand zu ihnen, als hätten die Maori eine ansteckende Krankheit.
Wann werden die pakeha endlich lernen, dass die Maori Menschen wie sie selbst sind?, dachte Louise empört.
Schon versammelte sich das Gericht, und der Gefangene wurde hereingeführt. Rufe ertönten. Einige Zuschauer forderten Joe Aroas Tod. Aber weder der junge Mann noch sein Anwalt reagierten darauf.
Reed nahm neben Joe Platz, der Kopf und Schultern hängen ließ. Die Haft und die Furcht vor dem Urteil hatten tiefe Falten in das Gesicht des Angeklagten gegraben, sodass er um Jahre gealtert wirkte.
Als der Richter die Sitzung eröffnete, verstummten die Rufe für einen Moment, aber danach ging das Gemurmel wieder los.
»Wir hätten es mit dem Pack genauso machen sollen wie die in Australien mit ihren Wilden. Einfach abknallen und fertig«, zischte eine Männerstimme hinter Louise.
Louise schloss bebend die Augen und ballte die Fäuste. Am liebsten hätte sie dem Kerl gehörig die Meinung gesagt, aber sie zwang sich zur Ruhe.
Die Spannung im Saal stieg. Hoffentlich begeht niemand eine Dummheit, dachte Louise. Dann lauschte sie den Plädoyers der Anwälte.
Als der Staatsanwalt lebenslange Haft forderte, ertönten Protestrufe. Die Forderungen, Joe Aroa einfach am nächsten Baum aufzuknüpfen, übertönten fast die Ansprache von Jonathan Reed. Bei seinem Einwand, Joe sei nicht Herr seiner Sinne gewesen und deshalb nicht voll schuldfähig, sprangen ein paar Männer auf und drohten dem Verteidiger mit den Fäusten. Der Versuch des Richters, Ordnung in den Saal zu bringen, scheiterte. Auch die herbeigerufenen Polizisten änderten nichts an der Situation.
Louise krallte die verschwitzten Finger in ihren Rock. Schweiß lief ihr den Rücken hinunter, und ihre Brust schmerzte. Nur raus hier!, befahl ihr der Verstand, doch sie blieb reglos sitzen. Sie werden mir nichts tun, sagte sie sich. Das wäre gegen das Gesetz.
Als sich die Geschworenen zur Beratung zurückzogen, befahl der Richter den Constables, Aufstellung um die Anklagebank zu nehmen.
Einige Leute verließen den Saal, und die Lage entspannte sich ein wenig.
Vielleicht sollte ich auch gehen, dachte Louise. Ihr Instinkt meldete immer noch Gefahr. Als sie sich besorgt umsah, blickte sie Manson geradewegs ins Gesicht. Er stand neben ihrer Sitzreihe und beobachtete sie offenbar schon eine Weile.
Er zog den Hut und verbeugte sich mit einem spöttischen Lächeln.
Louise ignorierte
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