Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun
noch am selben Tag auf den Weg von Dione zum Titan, ohne um die Erlaubnis von Euclides Peixoto oder des Militärtransportbüros zu bitten. Sie stahl ein Shuttle, flog damit direkt zum Titan und landete außerhalb von Tank Town in der brasilianischen Basis, am Ufer des Luninischen Meeres. Vier Tage später befand sie sich an Bord eines Luftschiffs, das den nördlichen Rand von Xanadu ansteuerte, die Provinz von der Größe eines Kontinents, die sich an Titans Äquator befand.
Die raue, felsige Landschaft ähnelte den Gebirgsausläufern des Himalaja – zerklüftete Bergketten, die von tektonischen Verschiebungen und verschlungenen Flussläufen durchzogen waren –, und wie der Himalaja war sie durch das Aufeinandertreffen zweier Landmassen entstanden, obwohl diese auf dem Titan auf einem unterirdischen Meer von ammoniakhaltigem Wasser schwammen und nicht auf teilweise geschmolzenem Gestein. Avernus’ Versteck befand
sich am Rand eines Tals, das zwischen schroffen Bergen lag. Bevor tektonische Bewegungen die Gegend angehoben hatten, war es Teil eines Flusssystems gewesen, das durch Blitzfluten flüssigen Methans und Ethans während der seltenen, dafür aber umso heftigeren Regengüsse am Äquator des Titan entstanden war. Jetzt war es eine trockene Ebene, bedeckt von Kohlenwasserstoffsand und umgeben von schroffen Hängen aus gefrorenem Ammoniakwasser, das hart wie Stein war. Es war durchzogen von tiefen Schluchten und Spalten, die sich von den Bergkämmen abwärts schlängelten, bis sie in Fächern aus Geröll endeten.
Sri bestand darauf, sich persönlich umzusehen. Sie wollte eine Vorstellung von dem Ort bekommen, wo sich Avernus versteckt hatte. Sie wollte seine Beschaffenheit ergründen.
Hohe Steilwände ragten über ihr auf, durchzogen von jähen Schluchten, die so zahlreich waren, dass die Geröllhalden an ihrem Fuß sich in eine einzige sanft absteigende Rampe verwandelt hatten, die zu einer ausgedehnten Talebene führte, die von Kanälen durchzogen und mit schwarzem Kohlenwasserstoffsand überzogen war. Ein Großteil des Sands hatte längliche Dünen gebildet. Das Luftschiff kauerte wie ein riesiger Mantarochen auf einer dieser Dünen und vibrierte im heftigen Wind. Dahinter, auf der anderen Seite des Tals, erhoben sich gezackte Hügel in den allgegenwärtigen orangefarbenen Dunstschleier.
Schwarzer Kies knirschte wie Popcorn unter den Profilen von Sris Isolierstiefeln, als sie einen sanft ansteigenden Hang aus verfestigtem Geröll in Richtung der Steilhänge hinaufstapfte. Sie hatte sich daran gewöhnt, auf Dione leicht wie ein Vogel zu leben: Titans Anziehungskraft von 0,2 Ge gab ihr das Gefühl, ihre Knochen hätten sich in Stein verwandelt, und eine rachsüchtige alte Frau würde sich an ihren Rücken klammern. Sie war völlig außer Atem
und schwitzte stark in ihrem Druckanzug, als sie den Rand eines Geländes von der Größe eines Fußballfeldes erreichte, das eingeebnet worden war und sich vor einem Überhang erstreckte, unter dem Avernus’ kleines Flugzeug geparkt war.
Der ursprüngliche Suchtrupp hatte die Fullerenplane, unter der es versteckt gewesen war, abgenommen. Es war knallrot, mit einem großen Propeller, kurzen Tragflächen und einem geschlossenen Cockpit. Es wäre auf der Erde nicht fehl am Platz gewesen.
Sri hatte es schon einmal gesehen. Damals war es über sie hinweggeflogen, als sie auf der Spitze einer Vulkankuppel gelegen hatte, unbeweglich gemacht von einem Gewirr von Drähten, die eins von Avernus’ Geschöpfen auf sie abgefeuert hatte. Damals hatte sie beschlossen, dass sie die Suche nach Avernus nie aufgeben würde, und obwohl sie nun kurz davor stand, eines der Verstecke der Genzauberin zu betreten, spürte sie weder Triumph noch Aufregung. Nach über vier Jahren war ihr Zielobjekt genauso unfassbar und geheimnisvoll wie zuvor.
Sie kletterte einen steilen Pfad am Rand einer Schlucht hinauf, schleppte sich grob gehauene Stufen hinauf, mit brennenden Muskeln und pochendem Herzschlag und musste alle paar Minuten stehen bleiben, um Luft zu schöpfen. Nahe dem Rand des Abhangs machte der Pfad eine Biegung und führte in eine so schmale Auskehlung, dass die Schultern ihres Druckanzugs die glatten Wände streiften, als sie auf eine Luftschleuse zuging. Sie trat hindurch und kam auf der obersten Stufe einer Treppe in einem hohlen, spiralförmigen Raum heraus, der dem Innern einer Nautilusmuschel ähnelte. Licht, welches an das warme Sonnenlicht auf der Erde erinnerte, wurde von
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