Sonnenfeuer
fast verschwunden. Das bringt die Krankheit so mit sich. Ihre Augen sind jetzt auch wieder viel klarer. Bald sind Sie wieder auf den Beinen, und wir können nach Hause fahren.«
»Genau darüber wollte ich mit dir sprechen. Ich habe einen Brief von Mutter bekommen. Es bricht ihr zwar das Herz, daß Daddy tot ist, aber ich soll trotzdem hierbleiben, bis ich wieder ganz gesund bin. Die Nachbarn kümmern sich um sie, doch jetzt kann sie aus Sorge um mich nicht mehr schlafen. Arme Mutter! Mrs. Buchanan hat an meiner Stelle geantwortet und sie wissen lassen, daß ich bestimmt erst dann losreite, wenn ich wieder ganz gesund bin.«
Diamond nickte benommen. Am liebsten wäre sie sofort aufgebrochen. Noch nie in ihrem Leben war sie sich so nutzlos vorgekommen. Und sie haßte es, in ihrer leeren Zelle herumzusitzen, die einmal als Lagerraum für stinkende Käselaibe gedient hatte, deren Geruch sie noch immer nicht hatte vertreiben können.
Nach dem Abendessen wanderte Diamond über die mondbeschienen Wiesen zu dem kleinen Friedhof. Hinter dem Lattenzaun schimmerten die weißen Grabsteine, und der Wind rauschte in den Bäumen. Jetzt, nach seiner Beerdigung, konnte Jack Middleton seinen Frieden finden, und tatsächlich fand auch sie an seinem Grab Trost. Dann blieb sie ein Zeitlang vor dem Kreuz ohne Namen stehen. Sie hätte gern gewußt, wer hier begraben war. Plötzlich merkte sie, daß es kalt geworden war. Hatte sie schon so lange hier gestanden? Eine kühle nächtliche Brise strich über die Hügelkuppe. Sie wandte sich schon zum Gehen um, da meinte sie, im Wind, – oder auch nur in ihrem Innern – Stimmen zu hören. Diamond blickte unschlüssig auf das weiße Holzkreuz. Die Stimme hatte keinen Klang, hörte sich aber trotzdem an, als ob sie schrie; eine körperlose Stimme, weder die eines Mannes noch die einer Frau. Sie brüllte Diamond zornig etwas zu, etwas, was so schrecklich war, daß sie sich die Ohren zuhielt, um es nicht hören zu müssen. Doch die böse Stimme sprach ständig weiter, stieß zischend gräßliche Drohungen aus, denen Diamond keinen Sinn entnehmen konnte, erzählte von einer entsetzlichen Begebenheit, die nach Rache schrie.
In heller Angst ergriff sie die Flucht, stürzte kopflos den Hügel hinunter und kletterte über Zäune, um schnell in ihr Zimmer zu kommen, wo die Stimme immer leiser wurde und schließlich ganz verstummte. Um diesen Friedhof gab es ein Geheimnis, und Jannali wußte davon. Doch ganz gleich, was es auch sein mochte, Diamond spürte nicht den Drang, es zu ergründen. Trotzdem konnte sie in der Nacht ruhig schlafen und wurde erst am frühen Morgen durch das Gezwitscher der Buschvögel geweckt.
Der Sonntag war der schlimmste Tag der Woche. Die Männer hatten frei, und so versuchten sie ihr Glück beim Hufeisenwerfen oder dem Kartenspiel. Manche schlenderten auch mit tief in die Stirn gezogenen Hüten auf dem vor Hitze glühenden Hof zwischen den einzelnen Wirtschaftsgebäuden umher. Nur drei der schwarzen Mädchen ließen sich gelegentlich kichernd vor der Küchentür blicken. Unter Maes wachsamen Augen kehrten sie mit Wasser und Milch oder frischem Gemüse aus dem Garten zurück, alles gedacht für das Sonntagsessen der »Familie«: Mrs. Buchanan und Ben – und vielleicht auch für ihren Gast. Diamond wurde, wohin sie auch kam, mit Blicken verfolgt. Aus diesem Grund verließ sie sonntags nur ungern ihr Zimmer; sie wußte, daß sie nur geduldet war. Allein der Hunger trieb sie gegen Abend zur Hintertür, wo sie von Mae ein mit einem Netz bedecktes Tablett ausgehändigt bekam, so daß es ihr freistand, wo sie aß.
Da der Versammlungsort der Schwarzen verlassen war, kehrte Diamond zur Molkerei zurück und setzte sich auf die Eingangsstufen. Sie hätte nach dem gebratenen Fleisch und der Süßspeise gern noch eine Tasse Tee getrunken, aber dann hätte sie noch einmal zum Haus zurückgehen müssen. Lieber blieb sie auf der Treppe sitzen. Traurig starrte sie auf den Obstgarten und die Reihe der Bienenkörbe zwischen den Bäumen.
Die Hitze war fast unerträglich, und Diamond hätte sich gern den Leuten vom Ilba-Stamm angeschlossen, die sich bei einem Bad im Fluß Abkühlung verschaffen konnten. Doch sie wagte nicht, ins Lager zu gehen. Sich vor fremden Schwarzen auszuziehen, wäre für sie nichts anderes gewesen, als nackt vor Weißen herumzulaufen. Und so entschloß sie sich zu einem Spaziergang zum Wasserfall. Daß er den Schwarzen verboten war, kümmerte sie nicht.
Der
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