Sonnenfeuer
Deshalb hatte ihr auch Caravale so zugesagt. Caravale … dort war ihr Vater beerdigt worden. Tapfer schluckte sie die aufsteigenden Tränen hinunter.
Aber sie mußte in die Zukunft blicken. Wenigstens war ihr Vater in dem Bewußtsein gestorben, daß seine Frau und seine Tochter gut versorgt waren. In den Augen ihrer Eltern war Perfy wohlhabend. Doch im Haus des Gouverneurs hatte sie genug Damen mit prächtigen Kleidern und kostbarem Schmuck gesehen, um zu wissen, daß sie auch nach dem Verkauf ihres Anteils an Caravale lediglich ein größeres Bankguthaben aufzuweisen haben würde. Diese Leute verstanden unter Reichtum etwas anderes.
Wie würde es also weitergehen? Heiraten und am vornehmen Stadtrand von Bowen ein eintöniges Leben führen, dessen Höhepunkte in Konzertbesuchen bestanden? Sie hing dem müßigen Gedanken nach, was es bedeutete, wirklich reich zu sein – Häuser auf dem Land und an der Küste zu besitzen, prächtige Bälle zu geben und zu großartigen Ausflügen einzuladen, aufregende und reizvolle Menschen kennenzulernen …
Trotz der holprigen Fahrt nickte Perfy ein.
Zwanzig Pfund. Diamond seufzte. Mrs. Beckmann hatte ihr zehn Pfund gegeben, und sie hatte sie mit Liebe gegeben. Von Perfy hatte sie zwanzig Pfund erhalten, doch verächtlich und nur aus Pflichtgefühl. Jetzt war sie wirklich allein auf der Welt. Allein in der geschäftigsten Stadt, die sie je gesehen hatte. Sie hatte gehört, daß in den letzten beiden Monaten mehr als zweitausend Neuankömmlinge Charters Towers überflutet hatten. Das konnte sie sich gut vorstellen, denn in den wenigen Straßen drängten sich wahre Menschenmassen. An zahlreichen weiteren Stellen im ferneren Umkreis der Stadt war Gold gefunden worden, was dazu führte, daß hier schon morgens soviel Betrieb herrschte wie in Brisbane nur an Samstagabenden. Doch im Grunde genommen war Charters Towers lediglich eine Stadt wie viele andere im Landesinneren, mit einer breiten Hauptstraße, einigen Läden und vielen Schenken. Letzteres hielt Diamond für ein gutes Zeichen; es sollte ihr eigentlich nicht schwerfallen, in einer davon Arbeit zu bekommen.
Nachdem sie an die Küchentüren mehrerer Hotels geklopft hatte und immer wieder abgewiesen worden war, begriff sie aber, daß niemand einem schwarzen Mädchen Arbeit geben würde. Also beschloß sie, sich zuerst ein Zimmer zu suchen. Wie sie befürchtet hatte, war nirgendwo etwas frei, doch zweimal sagte man ihr auch offen ins Gesicht, daß man an Schwarze ohnehin nicht vermieten würde. Als sie um die Mittagszeit unschlüssig auf der Straße stand, entdeckte sie das Werbeschild eines kleinen Cafés: »Kuchen mit Tee oder Kaffee, 40 Pence«, und sie ging hinein.
Die Frau hinter dem Tresen starrte sie an. »Was willst du?«
»Einen Kuchen und eine Tasse Tee, bitte.«
»Hast du denn Geld?«
»Natürlich.«
Die Frau zögerte. »Na schön, aber hier drinnen kannst du nicht essen. Geh hinter in den Hof.«
Diamond nickte gleichgültig und marschierte hinter das Haus, wo sie zwischen Kistenstapeln ihr Mittagessen verzehrte. Der Hof grenzte an die Rückseite eines Ladens, vor dem zwei Männer einen Wagen entluden. Sie trat auf sie zu und fragte: »Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, wo ich ein Zimmer finden könnte?« Einer der beiden, ein Grauhaariger in einem verschwitzten Flanellhemd, lachte. »Unten am Fluß ist ein Niggerdorf, Herzchen.«
Diamond funkelte ihn an. »Verstehen Sie kein Englisch? Ich habe Sie nach einem Zimmer gefragt.«
Er schulterte einen Sack Mehl und zwinkerte seinem Kameraden zu. »Ach so, dann muß ich mich wohl verhört haben. Na, mal überlegen …«
»Ein Gästehaus«, fügte Diamond hinzu.
»Geh doch mal zu dem Chinesen an der Turpin Lane.«
»Ist das ein Gästehaus?«
»So was Ähnliches.«
»Danke«, sagte sie, »ich versuche es. Wie komme ich hin?«
»An der nächsten Ecke links und dann noch mal links«, antwortete er und deutete die Hauptstraße hinunter.
Ohne Schwierigkeiten fand sie das zweistöckige Gebäude, dessen vordere Veranda mit buntem Glas verkleidet war, so daß man durch den Seiteneingang eintreten mußte. Eine große plumpe Frau fegte die mit Teppich ausgelegte Eingangshalle, wobei sie mehr Staub aufwirbelte als entfernte.
»Kann ich hier ein Zimmer bekommen?« fragte Diamond.
Ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, erwiderte die Frau: »Frag den Chef.«
»Wo finde ich ihn?«
»Erste Tür hinter dem Salon. Und benimm dich. Klopf vorher an.«
»Ja,
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