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Sonnenfeuer

Sonnenfeuer

Titel: Sonnenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Shaw
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bitte?« rief eine Stimme, als sie angeklopft hatte. Sie öffnete die Tür und stand plötzlich vor einem großen, reichverzierten chinesischen Wandschirm. Verwirrt spähte sie daran vorbei, doch geblendet von dem Licht, das durch das vergitterte Fenster hereindrang, erkannte sie lediglich die Umrisse eines Mannes, der an einem langen Schreibtisch saß. Sie blinzelte.
    »Nur herein«, forderte der Mann sie auf, und verlegen trat sie näher. Unter ihren Füßen spürte sie einen weichen Teppich. »Ich bin auf der Suche nach einem Zimmer.«
    »So so, ein Zimmer«, erwiderte er unbestimmt. Er schien sie zu mustern. An jedem Tischende stand eine Messinglampe mit dunkelblauem Schirm, mehrere Bücher und Papiere lagen offen vor ihm. »Erinnerst du dich nicht mehr an mich, Diamond?« sagte er zu ihrer Verblüffung.
    »Tut mir leid …«, fing sie an, doch dann sah sie ihn deutlicher, seine feinen Gesichtszüge, den langen herabhängenden Schnurrbart. »Lieber Himmel! Mr. Chin!«
    Er stand auf und verbeugte sich. »Höchstpersönlich. Ich bin erfreut, daß ich nicht so schnell in Vergessenheit geraten bin. Aber nimm doch bitte Platz.«
    Mr. Chin schickte nach Tee, und sie begannen sich zu unterhalten. Er schien alle Zeit der Welt zu haben, und da Diamond ohnehin nirgendwo sonst hingehen konnte, genoß sie es, mit ihm zu plaudern. Natürlich wollte er wissen, warum sie nicht mehr für Miss Middleton arbeitete; Diamond erwiderte lediglich, Perfy brauche ihre Dienste nicht mehr.
    »Dann wird sie also den Gentleman von der Farm heiraten?« fragte er.
    »Das wollte sie zuerst. Dann hat sie ihre Meinung geändert und ist nach Bowen zurückgekehrt.«
    Glücklicherweise schien er nicht näher auf Perfys Liebesabenteuer eingehen zu wollen. Statt dessen wollte er mehr über Diamond erfahren, wer sie war, woher sie kam, welche Erziehung sie genossen hatte. Sie fand es angenehm, mit diesem ruhigen Mann zu sprechen. Ehe sie sich versah, erzählte sie ihm von den Irukandji und der Suche nach ihrem Volk, und er nickte verständnisvoll, als sie über ihre gegenwärtigen Schwierigkeiten sprach. Sie mußte ein Zimmer und Arbeit finden, doch für ein schwarzes Mädchen war das nicht einfach.
    »Das Wichtigste ist ein Einkommen«, murmelte er.
    »Das weiß ich«, erwiderte sie betrübt. »Aber selbst wenn ich Arbeit bekomme, dann nur für Unterkunft und Verpflegung. Schwarze werden nicht mit Geld bezahlt.«
    Zum ersten Mal in ihrem Leben redete Diamond offen über die Ungerechtigkeit ihrer Lage und die Benachteiligungen, unter denen sie seit Jahren litt. Vor ihr saß ein Mann, der bereit war, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.
    Er bestellte noch einmal Tee.
    »Wenn ich deine Lage richtig beurteile, kannst du als Dienstmädchen kein Geld verdienen, und ansonsten gibt es kaum Möglichkeiten.«
    Angesichts dieser nüchternen Einschätzung erkannte Diamond, wie düster ihre Zukunft war. »Es gibt überhaupt keine«, meinte sie niedergeschlagen.
    »Brauchst du Geld?« erkundigte er sich, doch sie schüttelte den Kopf.
    »Danke, Mr. Chin, aber ich könnte es nicht zurückzahlen.«
    »O doch, das könntest du. Hier bei mir kannst du eine Menge Geld verdienen.«
    Diamond erinnerte sich, daß die Männer dreckig gegrinst hatten, als sie sie hierherschickten. Sie starrte Mr. Chin an. »Das ist kein Gästehaus, nicht wahr?«
    Er lächelte sie so gütig an, als sei sie sein Lieblingskind. »Nein, Diamond, in diesem Haus verdienen einige junge hübsche Mädchen gutes Geld.«
    Diamond rang nach Atem. Einen Augenblick zögerte sie, dann brach sie jedoch in Gelächter aus. »Meine Güte, was bin ich nur für eine Närrin!«
    Er nippte an seinem Tee. »Ich halte dich keineswegs für eine Närrin. Du bist ein vernünftiges Mädchen und hast zudem das große Glück, daß die Natur dich mit einem anmutigen Gesicht und einer sehr ansehnlichen Figur bedacht hat. Du solltest das Beste daraus machen.« Er legte die Hände mit den manikürten Nägeln auf den Tisch. »Die Entscheidung liegt bei dir. Wenn du hierbleiben willst, werde ich mich darum kümmern, daß für dein Wohlergehen und deinen Schutz gesorgt wird. Dieses Haus ist verschwiegen und taktvoll, der Pöbel hat hier nichts zu suchen.«
    Diamond fühlte sich wie betäubt von der eintönigen, ruhigen Stimme. Sie sprachen über Prostitution, als handle es sich um eine ganz gewöhnliche Arbeit. Doch welche andere Anstellung konnte sie sonst bekommen? Und welcher andere Arbeitgeber würde sich überhaupt

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