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Sonnenfeuer

Sonnenfeuer

Titel: Sonnenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Shaw
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gelähmt. Fast automatisch steckte sie dem Mädchen mehr Schinken und Pastetenstückchen in den Mund, so als ob sie ein hilfloses Vogeljunges fütterte. Die Kleine war blind!
    Sie begann mit ihr zu reden. »Bist ein gutes Mädchen. Nimm das Stück in deine Hand. Hier in deine Hand. Nimm es. Gut so. Iß selbst. Jetzt noch ein bißchen Brot, da hast du.« Sie wiederholte diese Prozedur immer wieder. So war sie beschäftigt, bis Otto hereinkam.
    »Du kannst dieses Kind nicht einfach irgendwo absetzen«, sagte sie. »Es ist blind.«
    »Sie kann unmöglich blind sein. Laß sehen.« Er bewegte eine Hand vor dem Gesicht des Mädchens auf und ab, und obwohl sie mit den Augen zwinkerte, deutete nichts darauf hin, daß sie etwas gesehen hatte. Er nahm einen Handspiegel und hielt ihn so, daß sie hineinschauen mußte. »Wahrscheinlich hat sie sich noch nie so gesehen, Mutter. Der Spiegel wird uns Klarheit verschaffen.«
    Doch bald schüttelte er traurig den Kopf. »Gott hilf uns, sie ist wirklich blind. Vielleicht hat sie zu lange in die Sonne gesehen. Am besten verbindest du ihr die Augen.«
    »Ich glaube nicht, daß ihr das gefallen wird, es würde sie nur noch mehr verängstigen, und dabei habe ich sie gerade erst ein bißchen beruhigt. Es geht doch nichts über einen Happen zu essen.« Sie grinste. »Ich will den Raum verdunkeln; mehr können wir im Augenblick nicht für sie tun. Werden ihre Augen wieder in Ordnung kommen?«
    »Das kann nur ein Arzt sagen. Wir müssen sie bis nach Rockhampton mitnehmen und dort absetzen.«
    »Bei wem?«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung, und ich kann mich nicht auch noch damit beschäftigen. Wir setzen sie dort an Land, und damit basta. Viel wichtiger ist die Frage, woher wir Wasser bekommen. Du darfst auf keinen Fall Wasser verschwenden. Inzwischen gibt es für jeden nur noch eine Tasse pro Tag. Wenn du durstig bist, trink Wein. Aber sparsam, denn davon haben wir auch nicht mehr viel.«
    Im Laufe der nächsten Tage stellte Gussie fest, daß das Augenlicht des Mädchens allmählich zurückkehrte. Sie tat ihr Bestes, damit die Kleine sich nicht die Augen rieb. Inzwischen war die Patientin auch wieder ein wenig zu Kräften gekommen und wagte ein paar vorsichtige Schritte in der Kabine.
    Gussie hatte sie bereits ins Herz geschlossen und wartete nur noch auf einen günstigen Zeitpunkt, um Otto ihren Entschluß mitzuteilen.
    Es war eigentlich ihre Christenpflicht, für dieses verlassene Heidenkind zu sorgen. Unmöglich konnten sie die Kleine einfach mutterseelenallein in Rockhampton zurücklassen. Gussie würde sie mit zu sich nach Hause nehmen, ihr Englisch beibringen, sie im Geiste des Christentums erziehen und ihr ein richtiges Heim bieten. Auf diese Weise würde sie auch etwas Gesellschaft haben. Sicher würde Otto ihr diesen Wunsch nicht abschlagen, wenn sie erst einmal zugab, daß sie für ein Leben auf See nicht geschaffen war.
    »Du hast beschlossen, von jetzt an zu Hause zu bleiben?« fragte er leicht belustigt, als sie schließlich mit ihrer Entscheidung herausrückte.
    »Richtig, mein Lieber. Und ich habe jemanden, um den ich mich kümmern kann.«
    »Den du zähmen kannst, meinst du. Sie ist immer noch halb blind, kann nicht mit dir sprechen und benimmt sich wie eine kleine Wilde. Bis jetzt müssen wir sie noch in der Kabine einsperren. Ebensogut könntest du versuchen, eine Schlange zu zähmen.«
    Er fragte sich, warum ihm ausgerechnet eine Schlange eingefallen war. Das Mädchen hatte mit seinen straffen Brüsten und wohlgeformten Hüften wenig Ähnlichkeit mit einem Reptil. Gut, daß Gussie an Bord gewesen war. Welchem dieser Lüstlinge in der Mannschaft hätte man ein heranreifendes Mädchen anvertrauen können? Vielleicht war es ja gar nicht so schlecht, wenn Gussie sich um das Mädchen kümmerte. In Rockhampton wäre die Kleine verloren, und Otto sah keine Möglichkeit, sie an den Endeavour River zurückzubringen. Genausowenig wollte er, daß sie ihr Glück auf einem anderen Schiff versuchte, wo sie die Reise ganz sicherlich nicht ohne Belästigung überstehen würde.
    »Ich werde es mir überlegen«, sagte er.

4
    R eglos lag Kagari da. Sie betastete den schwankenden Rumpf des riesigen Geisterschiffes, spürte das Holz unter ihren Fingern und preßte die Wange fest an die ungewöhnlich glatte Oberfläche. Der süßliche Geruch nach menschlichen Füßen, der in dem trockenen Holz hing, stieg ihr in die Nase. Überhaupt waren die Gerüche um sie herum so stark, daß ihr eines

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