Sonnenfinsternis: Kriminalroman
die Liste zu setzen. So kam dieser schliesslich 1997 nach Wien.
Seither hatte er fast ständig in diesem Pflegeheim gelebt. Ein paar Mal hatte er versucht, wieder ein geregeltes Leben ausserhalb aufzunehmen, aber immer war er wieder hier gelandet. Er hatte keinen Halt mehr im Leben und keine Lebensfreude, aber als gläubiger Muslim war Suizid keine Option für ihn. Also vegetierte er hier vor sich hin. Sein einzige r verbleibender Kontakt zur Aussenwelt war Mujo gewesen .
Dieser war kurz nach Kriegsende in die Schweiz geflohen, weil die Serben ein hohes Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hatten. Die Schweizer hatten ihn zunächst ‹vorläufig aufgenommen›, wie sie das nannten, einige Jahre später hatte er dann aber doch noch eine definitive Aufenthaltsbewilligung erhalten. In der Schweiz hatte er auch andere Flüchtlinge kennen gelernt, und irgendwann hatte er sogar geheiratet. Es war das einzige Mal in den letzten fünfzehn Jahren gewesen, dass Begić sich gefreut hatte. Seitdem hatte ihn Mujo mindestens einmal pro Jahr besucht und fast jeden Monat mit ihm telefoniert. Mit seinem Tod war nun auch Begićs letzter Halt weggefallen .
Kapitel 28
«Und was nun?» Ivica schaute mich über sein Bierglas hinweg erwar tungsvoll an.
Wir sassen in einer abgeschirmten Ecke im Flanagans, einem Irish Pub an der Ecke Schwarzenbergstrasse/Schellingstrasse, nicht weit von der Wiener Staatsoper entfernt und g leich um die Ecke vom Hofburg theater . Angeblich stammte die komplette Inneneinrichtung samt der glänzenden Holzbar aus einem irischen Dorfpub. Die Wände waren orange und grün gestrichen und mit Zeitungsartikeln, Bierspiegeln und anderem Firlefanz behängt. Hinter dem Tresen hing ein hölzernes Wagenrad. Vor uns standen zwei Pintgläser voll mit Caffrey’s Irish Ale . Aus den Lautsprechern dröhnte Young Ned of the Hill von den Pogues.
«Na ja», antwortete ich, «wir wissen jetzt, was Hasanović damals am Parade platz mit dem ‹Prinzip› gemeint hat. Luka Princip.»
Ivi nickte.
«Und», fuhr ich fort, «wir wissen auch, woher er Princip kannte. Und weshalb er Tunnels nicht ertrug.»
Wieder nickte Ivica.
Ich trank nachdenklich einen Schluck Bier. «Ausserdem wissen wir, dass Mujo kein typisches Opfer war. Er war bestimmt nicht einfach zu erledigen.»
Ivica nahm ebenfalls einen Schluck Bier. Dann sagte er lakonisch: «Jeder kann jeden töten. Es ist eine Frage der Vorbereitung und Motivation, das ist alles.»
«Gut, das mag sein. Deshalb ist er ja dann auch in die Schweiz gekommen, nicht wahr? Wegen des Kopfgeldes. Aber trotzdem, er war auf jeden Fall kein Durch schnittstyp.»
«Allerdings nicht . Und wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was uns Begić erzählt hat, dann ist es tatsächlich unwahrscheinlich, dass ihn so ein paar glatzköpfige Schläger einfach so mal spontan erledigt haben, weil ihnen seine Visage nicht ge passt hat . Die Albaner hätten da wohl mehr Erfahrung. Aber weisst du was? Dir fehlt immer noch ein Motiv, mein Freund.»
Er klang wie Steiner und ich antwortete gereizt: «Das weiss ich auch!» Dann legte ich nachdenklich den Kopf zur Seite und fragte: «Glaubst du Begić?»
Er nickte erneut und bekräftigte: «Ja, absolut.»
«Trotz der Art, wie er zum Schluss war?»
Gegen Ende waren dem alten Mann die Tränen ungehindert über das Gesicht geflossen. Er hatte sie nicht abgewischt und auch sonst nicht reagiert. Es schien, als wäre er in eine eigene Welt eingetaucht, zu der nur er Zugang hatte. In den Minuten, bevor uns die furchteinflössende Walküre von einer Schwester endgültig rausgeschmissen hatte, war er immer unzusammenhängender geworden und Ivica hatte zusehends Mühe mit der Übersetzung bekundet. Ganz am Ende hatte Begić schliess lich begonnen, permanent vor sich hinzubrabbeln, auch wenn Ivica gerade übersetzte. Die wütende Pflegerin hatte uns alle Schande gesagt und ich konnte nachvollziehen, weshalb . Ich fühlte mich echt beschissen deswegen .
Ivica war da weniger empfindlich. Wir waren hergekommen, um brauch bare Informationen aufzutreiben, und soweit es ihn betraf, hatten wir das auch geschafft. Energisch antwortete er: «Ja, natürlich. Es war ja schon vorhin klar, dass er psychisch brutal angeschlagen ist. Drum ist er ja auch dort drin. Das heisst aber nicht, dass er sich nicht erinnert. Im Gegenteil, ich mache jede Wette, dass er seither jedes Detail eine Million Mal im Kopf durchlebt hat.»
« Na gut . Aber weisst du, dann glaube ich irgendwie immer
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