Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)
Innerlich seufzte er, wich etwas aus und machte Platz für die größere Fledermaus.
„Das war ganz schön aufregend“, sagte Chinook. „Aber weißt du, ich hätte mit dieser Eule kämpfen können.“
„Leck doch einen Eiszapfen, Chinook“, sagte Schatten und flog voraus. Nicht nur, weil er genug hatte von Chinook und Marinas hellem Lachen, er wollte wirklich hören, worüber sich Frieda, Ikarus und seine Mutter unterhielten.
Er konnte akzeptieren, dass jemand anderes zur Abwechslung mal den Anführer machte, aber die Vorstellung, dass er von etwas Wichtigem ausgeschlossen war, konnte er nicht ertragen.
Als er an Plato und Isis vorbeiflog, nickte er ihnen zu. Er beneidete Chinook darum, außer seiner Mutter auch den Vater dabeizuhaben. Manchmal ertappte er sich dabei, dass er die drei beobachtete, wie sie sich während des Tages eng aneinander schmiegten und unterhielten. Andererseits war er dankbar, dass seine eigene Mutter nicht dauernd zurückgeflogen kam, um ihn zu fragen, ob ihm kalt war, ob er Hunger hatte oder ob sein Flügel wehtat – aber insgeheim musste er doch zugeben, dass er froh war, sie immer vor sich sehen zu können, nur ein paar Flügelschläge entfernt.
Er hielt sich hinter den drei an der Spitze fliegenden Fledermäusen, spitzte die Ohren und horchte konzentriert.
„... dass die Eulen ihren Winterschlaf unterbrochen haben, das macht mir Sorgen“, hörte er Frieda sagen.
„Sie sind furchtbar nahe am Hibernaculum“, sagte Ariel leise. „Glaubst du ...“ Sie sprach nicht weiter, als brächte sie es nicht fertig, den Gedanken zu Ende zu denken. Was denn?, fragte sich Schatten ängstlich. Glaubte sie etwa, die Eulen würden das Hibernaculum angreifen? Aber es war doch ein geheimer Ort, oder? Und nicht einmal die Eulen würden eine Kolonie Fledermäuse im Winterschlaf angreifen. Das wäre einfach zu feige.
„Ich fürchte, sie sammeln sich für einen Krieg“, sagte Frieda ernst. „Und wenn sie sich entschließen, im Winter anzugreifen, sind wir alle in fürchterlicher Gefahr.“
„Diese blutrünstigen Ungeheuer!“ Die Stimme von Ikarus bebte vor Zorn. „Die Menschen werden uns helfen, gegen sie zu kämpfen. Das bedeutet das Versprechen der Ringe. Nocturnas Großes Versprechen.“ Schatten hörte aufmerksam zu. Sein Herz hämmerte gegen die Rippen. Zu Hause im Baumhort hatte ihm Frieda von Nocturna erzählt, dem geflügelten Geist der Nacht. Im Echoraum tief unter der Erde hatte Schatten die Geschichten der Großen Schlacht zwischen den Vögeln und Vierfüßlern gesehen und wie die Fledermäuse in den Nachthimmel verbannt worden waren, weil sie sich geweigert hatten zu kämpfen. Nocturna aber hatte versprochen, dass sie eines Tages wieder zum Tageslicht zugelassen würden und die Eulen dann nicht mehr fürchten müssten. Und die Ringe der Menschen waren ein Zeichen dieses Großen Versprechens: vollkommen, strahlend, rund wie die Sonne selbst. Das glaubten jedenfalls Frieda und Cassiel. Und Schatten auch.
„Wenn die Eulen Krieg führen“, sagte Ikarus, „sind die Menschen unsere einzige Hoffnung. Cassiel hat das gewusst. Deshalb wollte er dieses Gebäude finden.“
„Wenn wir da hinkommen“, hörte Schatten seine Mutter vorsichtig fragen, „was werden wir dort vorfinden?“
„Was meinst du, Schatten?“
Überrascht zuckte er zusammen, als Frieda über ihren Flügel zu ihm zurückschaute. Sie hatte die ganze Zeit gewusst, dass er da war.
„Ich habe mich schon gefragt, wann du zu uns kommen würdest“, sagte seine Mutter mit einem schiefen Lächeln.
„Komm nach vorn“, sagte Frieda. „Cassiel ist dein Vater, und wir wären wahrscheinlich nicht auf dieser Reise, wenn du nicht wärst. Oder du, Marina.“
Schatten blickte sich nach Marina um, die unmittelbar hinter ihnen Anschluss hielt. Also hatte sie auch zugehört! Typisch! Sie wollte nicht, dass er etwas wusste, was sie nicht auch wusste. Zunächst fühlte er einen Anflug von Verärgerung, dann schämte er sich sofort. Nach allem, was sie schon für ihn getan hatte, wollte sie ihm nun auch noch helfen, seinen Vater zu finden. Und ihr Wunsch, das Geheimnis der Ringe zu lüften, war ebenso groß wie seiner. Schließlich, dachte er voller Neid, hatte sie einmal selbst einen getragen, bis Goth ihn ihr vom Unterarm gerissen hatte.
„Was ist, wenn Cassiel nicht da ist?“, fragte Ariel. Schatten blickte seine Mutter entsetzt an. Natürlich glomm dieser finstere Gedanke auch manchmal in ihm selbst auf, aber er
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