Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)
trank und schlief wie jeder andere auch und fühlte sich so, wie er sich immer gefühlt hatte. Ehrlich gesagt, hatte er schon mehr erwartet. Was musste er noch tun, um ein bisschen zu Ansehen zu kommen? Er war Tauben und Ratten entkommen, Eulen und Fledermauskannibalen. Er war durch Tunnel unter der Erde gekrochen und hatte sich durch ein Gewitter emporgeschwungen. Er war sogar bei hellem Tageslicht geflogen!
Und nun wurde ihm Schnee auf den Kopf geschmissen. Helden wurde kein Schnee auf den Kopf geschmissen.
Er zog eine Grimasse, als er beobachtete, wie Chinook an Marinas Seite hinabglitt. Chinook mochte ihre Gesellschaft, so viel war klar. Während der vergangenen Nächte hatte er sich besonders darum bemüht, neben ihr zu fliegen und tagsüber in ihrer Nähe zu schlafen. Das Erstaunlichste war, Marina schien das nichts auszumachen. Das mit dem Schneeklumpen war wahrscheinlich seine Methode, bei ihr Eindruck zu schinden, und es schien zu funktionieren. Schatten kochte vor Wut. Schau sie dir nur an, wie sie sich immer noch darüber amüsiert! Manchmal, wenn Schatten die beiden aus der Ferne beobachtete, konnte er tatsächlich aufschnappen, wie sie über etwas lachte, was Chinook gesagt hatte – eine Art klingelndes Lachen, das Schatten vorher nie von ihr gehört hatte. Mit Sicherheit lachte sie so nicht mit ihm. Es machte ihn wahnsinnig. Was konnte Chinook schon produzieren, was so komisch war? Er war gar nicht clever genug, um komisch zu sein. Lachten sie etwa über ihn?
„Ich habe über diese beiden Fledermauskannibalen nachgedacht“, sagte Chinook. „Goth und Throbb. “
„Aha“, sagte Schatten.
„Und ich schätze, ich hätte mit ihnen kämpfen können.“
Schattens Ohren zuckten verärgert. „Nein, Chinook. Sie hätten dich aufgefressen.“ Wie oft musste er das noch wiederholen? Chinook wollte einfach nicht glauben, dass selbst er die beiden im Kampf nicht besiegt hätte. „Sie waren riesig“, sagte Schatten.
Chinook blähte sorglos die Nüstern. „Wie riesig?“
„Etwa so riesig“, sagte Schatten boshaft und sang Töne direkt in Chinooks Ohren und malte in seinen Kopf ein Echobild von Goth, der sich mit aufgerissener Schnauze auf ihn stürzte, eine Kette triefender Zähne entblößte, schweißglänzende, einen Meter breite Flügel blähte ...
Das Klangbild blitzte nur einen Sekundenbruchteil in Chinooks Innerem auf, aber es erschien so plötzlich und war so entsetzlich, dass er aufschrie, gegen einen Fichtenast prallte und ganz mit Schnee bestäubt wurde.
„War das wirklich nötig?“, fragte Marina Schatten. „Oh, ich denke schon.“
„Hübscher Trick“, knurrte Chinook und schüttelte den Schnee von den Schultern.
„Glaubst du immer noch, du könntest mit ihnen kämpfen?“, fragte Schatten.
„Nun, im Hibernaculum hätten wir gegen sie kämpfen können. Da gibt es tausende von uns.“
„Nein“, sagte Marina. „Sie hätten gewartet, bis ihr alle eingeschlafen seid, und hätten euch den ganzen Winter lang gefressen, einen nach dem anderen. Das war jedenfalls ihr Plan. Und sie hätten sich bestimmt gleich über dich hergemacht, Chinook. Eine Menge Fleisch an deinen Knochen.“
„Ja, das sind alles Muskeln“, sagte Chinook stolz, „kein Fett.“ Dann runzelte er die Stirn bei der Vorstellung, eine Mahlzeit abzugeben. „Trotzdem denke ich, ich hätte ...“
„Nun, sie sind tot“, sagte Schatten ungeduldig, „also wirst du’s nie erfahren.“
„Jedenfalls Throbb“, sagte Marina. „Wir haben gesehen, wie er zu Asche wurde. Aber bei Goth haben wir nur gesehen, wie er vom Blitz getroffen wurde.“
„Unmöglich, dass er das überlebt hat“, sagte Schatten. Er war selbst überrascht von dem Nachdruck in seiner Stimme. Er wünschte so sehr, dass es wahr wäre. Ganz deutlich sah er noch vor sich, wie Goths Körper angekohlt durch die Gewitterwolke nach unten trudelte. Er glaubte nicht, dass er die beiden Kannibalen je vergessen würde. Sie verfolgten ihn noch immer in seinen Träumen. Goth presste ihn dann auf den Boden und Schatten konnte spüren, wie das Gewicht der Riesenfledermaus auf seiner Brust lastete, konnte ihren faulen Atem riechen. Dann würde Goth den Kopf zu Schatten hinabbeugen und ihm Sachen ins Ohr flüstern, fürchterliche Sachen, an die er sich nicht mehr erinnern konnte, wenn er in der Abenddämmerung aufwachte. Und dafür war er dankbar.
„Er muss einfach tot sein“, murmelte er.
„Ich hoffe, du hast Recht, das ist alles, was ich dazu sagen
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