Sonnenlaeufer
großen Schlosses hinterließ. Sekretäre waren den ganzen Tag über an der Arbeit gewesen, um die erforderliche Anzahl von Kopien anzufertigen – und es waren recht viele zu machen, überlegte Andrade, und auch der Name ihres Neffen tauchte auf mehreren auf. Insgeheim war sie erstaunt, wieviel er hier erreicht hatte. Er hatte eine Menge gewonnen und dabei ebenso wenig gegeben, wie Zehava es immer getan hatte. Andrade vermutete, dass die anderen Prinzen langsam begriffen, dass sich hinter Rohans arglosem Lächeln und seinen unschuldigen, blauen Augen ein gerissener Verstand und Ehrgeiz verbarg, aber sie waren offenbar alle erpicht darauf, Verträge mit dem Mann zu schließen, in dem sie einen zukünftigen Schwiegersohn von Roelstra sahen. Der Hoheprinz hatte sie selber dazu gebracht, dies zu glauben; Rohan hatte nichts dergleichen sagen oder tun müssen. Und alle Prinzen waren für die kommenden drei Jahre an diese Vereinbarungen gebunden.
Sie nickte Roelstra herzlich zu, als das letzte Dokument ihr Siegel trug, und er wandte sich an die versammelten Prinzen. »Vettern, ich danke Euch für ein friedliches und profitables Rialla . Mögen wir alle den uns zustehenden Lohn unserer Arbeit hier erhalten und uns in drei Jahren in noch größerer Freundschaft wieder versammeln.«
Als alle sich vor Andrade verneigten und nacheinander das Zelt verließen, zog sie ihren Umhang ein wenig enger, denn eine scharfe Brise wehte durch den Eingang herein.
Urival räumte Bänder, Siegel und Wachs in ihr Kistchen und verstaute die Kopien für die Schule der Göttin in einer Transporttruhe. Die anmutigen Bewegungen seiner Hände zogen ihre Aufmerksamkeit auf sich und lullten sie beinahe ein. Daher fuhr sie zusammen, als Roelstras Stimme plötzlich hinter ihr erklang.
»Einige wenige Augenblicke Eurer Zeit, Andrade.«
»Natürlich. Urival, ich erwarte, dass die Liste morgen Vormittag fertig ist. Lass dir von Camigwen helfen. Sie hat eine saubere Handschrift.«
»Wenn ich sie von Ostvel fortlocken kann«, murmelte der lächelnd. Er nahm die beiden Kistchen, verneigte sich und ließ Andrade mit dem Hoheprinzen allein.
»Bitte setzt Euch«, forderte er sie auf, und Andrade ließ sich in einen Sessel sinken. Roelstra nahm ihr gegenüber am Tisch Platz. »Ihr kennt meine Hoffnungen hinsichtlich Eures Neffen und einer meiner Töchter?«
»Die könnte selbst ein Blinder nicht übersehen«, antwortete sie freundlich. »Ihr könnt so subtil sein, wenn es Euch gefällt. Ich frage mich, warum Ihr diesmal Eure Pläne so offen an den Tag legt.«
»Ohne Euch beleidigen zu wollen, muss ich sagen, dass es meiner Meinung nach keine andere Möglichkeit gab, Rohan diese Vorstellung nahezubringen. Er hat sich sehr stark auf die Geschäfte hier beim Rialla konzentriert und daher nur auf die allerdeutlichsten Hinweise meiner Mädchen reagiert.«
»Ich denke, er hat den Eindruck bekommen, den er Eurer Meinung nach gewinnen sollte«, erklärte ihm Andrade, ohne eine Miene zu verziehen.
»Aber ich habe gehört, Ihr hättet eine eigene Kandidatin für ihn.«
Sie nickte. »Auf ihre Art ist Sioned ebenso stur wie Rohan.«
»Ich möchte Euch ein Angebot machen, Andrade. Lady Sioned will ihn nicht wirklich. Für ihn wäre es viel besser – was Reichtum und Prestige angeht –, wenn er eines meiner Mädchen nehmen würde. Eine Verschwägerung mit mir wäre eine sehr gute Sache, das wissen wir doch alle.« Roelstra machte eine Pause. »Wie Ihr außerdem wisst, bin ich in der Felsenburg seit Jahren ohne einen Lichtläufer.«
»Das lag an Euch, nicht an mir. Johoda war höchst talentiert, aber Ihr habt seine Dienste zurückgewiesen.«
»Was ich sehr bedaure. Wie Ihr wohl wisst, verfüge ich über andere Informationsquellen. Aber letztlich benötige ich doch einen Faradhi .«
»Und Ihr wünscht Sioned?« Ihre Finger trommelten gleichmäßig auf den Tisch. »Die bekommt Ihr nicht, Roelstra.«
»Und wenn sie selbst es wünschen sollte?«
Andrade lachte laut auf. »Um der Ehre willen, Eure Hure zu sein? Macht Euch nichts vor, Roelstra – weder, was dieses Mädchen, noch, was Euch selbst angeht. Ihr seid nicht mehr jung. Ihr seid dicker, als es früher der Fall war, und die Jahre zeigen sich auch bei Euch allmählich. Ihr seid wohl kaum noch der gutaussehende Jüngling, der vor nahezu dreißig Jahren auf der Suche nach einer Gemahlin in die Burg meines Vaters geritten kam.«
Roelstra lächelte ihr verbissen zu. »Der Göttin sei Dank, dass ich weder Euch
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