Sonnenlaeufer
seinen wissbegierigen Sohn mit Büchern zu versorgen. Doch nicht jeder junge Edle, und schon gar nicht die niedrigen Klassen, waren ebenso vom Glück begünstigt. Er wollte unter anderem Mittel und Wege dafür finden, dass talentierte junge Männer und Frauen ausgebildet werden konnten und dass man ihren Geist trainierte und ihre besonderen Fähigkeiten erkundete. Es gab Schulen für einige der wichtigsten Handwerkskünste – die Kristallmeister in Firon, die Weber in Cunaxa –, aber die meisten Menschen waren gefangen in einem Familienunternehmen, ganz gleich, worin ihre eigenen angeborenen Neigungen bestanden. Er wusste, dass sein Plan von Sioned begeistert unterstützt werden würde, denn sie war ebenso wissbegierig wie er. Er freute sich auf einen Winter allein mit ihr in Stronghold, und nicht nur aus den Gründen, die auf der Hand lagen.
Rohan stapelte die Unterlagen und lehnte sich zurück und streckte sich. Dann hörte er Schritte auf der anderen Seite der Trennwand, die seine Privatgemächer von dem öffentlicheren Bereich seines Zeltes trennte. »Walvis?«, rief er, und einen Augenblick später erschien der Knappe. Rohan starrte ihn an und stieß einen leisen Pfiff aus. »Große Göttin, was ist denn mit dir passiert?«
Die sommersprossigen Wangen des Knappen liefen rot an, wodurch die schwarz-blaue Verfärbung seines Auges noch betont wurde. »Nichts, Herr«, murmelte er.
»Komm her und lass sehen.« Rohan drehte den Knaben so, dass dessen Gesicht dem Licht zugewandt war, das durch das feine Maschenwerk vor einem Fenster fiel. »Wenn das ›nichts‹ ist, dann möchte ich nicht wissen, was du unter ›etwas‹ verstehst.« Er nahm die rechte Hand des Knappen, um sie zu untersuchen. »So wie deine Knöchel aussehen, hast du aber auch ganz schön ausgeteilt.«
»Das kann man wohl sagen, Herr«, antwortete Walvis grimmig.
»Würdest du mir bitte erzählen, worum es dabei ging?«
»Eine Ehrensache.«
»Deine oder meine Ehre?«
»Sowohl als auch.« Plötzlich ragte das verbissene Kinn eines Mannes aus dem kindlich-runden Gesicht. »Einer von Prinz Durrikens Knappen hat behauptet – er hat gesagt, Ihr wäret …«
»Ja?«, bohrte Rohan und erkannte, dass er unter keinen Umständen lachen durfte.
»Ich wiederhole derartige Dinge nicht gern, Herr.«
»Tu’s trotzdem.«
Der Knabe schluckte und lief erneut rot an. »Er sagte – dass Ihr Probleme haben würdet, von irgendeiner Frau einen Sohn zu bekommen, weil Ihr – verzeiht mir, Herr – weil Ihr zu dumm wäret, um den Pisspott zu finden, geschweige denn …«
»Verstehe.« Rohan verbot seinen Gesichtsmuskeln jegliches Entgleisen.
»Ich habe ihm die Beleidigung heimgezahlt, Herr.«
»Das sehe ich.«
Walvis betastete das blaue Auge und meinte achselzuckend: »Vor einer Weile sah ich wirklich schlimm aus.«
»Mmm.« Rohan wandte sich ab und beschäftigte sich mit der Anordnung der Papiere auf seinem Reiseschreibtisch. Als er wieder ein ernstes Gesicht machen konnte, erklärte er: »Ich vertraue darauf, dass dir deine Gliedmaßen gut genug gehorchen, dass du unseren Juwelier auf dem Markt aufsuchen kannst.«
»Sind die Smaragde für Mylady fertig?«
»Ich möchte, dass du das herausfindest. Wenn sie fertig sind, bring sie mir. Und wenn nicht …«
»Werde ich herausfinden, warum!«
»Aber sanft, bitte«, ermahnte ihn Rohan lächelnd. »Schließlich haben wir dem armen Mann kaum Zeit gelassen. Und jetzt fort mit dir.« Als der Knappe die Trennwand erreichte, rief Rohan leise: »Walvis?«
Der Knabe drehte sich um. »Ja, Herr?«
»Ich wette, Prinz Durrikens Mann sieht viel schlimmer aus als du.«
Walvis grinste stolz. »Der wird ein paar Tage lang nichts Härteres beißen können als Wasser – und auch nicht aufrecht gehen!«
Diesmal konnte Rohan sein Lachen nicht unterdrücken. Als sich Walvis verneigt und ihn verlassen hatte, wurde seine Belustigung zu einem Seufzer. Ach, wäre er doch noch so jung und könnte den direkten Weg zu einem Ziel nehmen – am liebsten mit einer soliden Rechten gegen Roelstras Kinn. Noch immer dachte er an die Hindernisse, die der Hoheprinz ihm bei seinen Verhandlungen bezüglich des harmlosen Tausches von Glas und Pferden gegen die Handwerker und Lederhäute in den Weg gelegt hatte. Es war nahezu unmöglich gewesen, den Mund zu halten und verwirrt zuzusehen, wie Volog und Clutha die Diskussion für ihn führten.
Lärm drang von draußen herein und lenkte ihn ab, und durch die Fensteröffnung konnte er
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