Sonnenlaeufer
Ich komme mit Euch.«
»Kommt mir bloß nicht in die Quere.«
Er rannte nicht. Sein Herz hämmerte zu schnell, und er konnte scheinbar nicht richtig denken, so dick war der Klumpen aus Wut in seiner Brust. Aber er konnte keine Rücksicht darauf nehmen. Urival hatte recht. Er konnte es sich nicht leisten, den Hoheprinzen zu töten. Aber wenn Roelstra auch nur einen Finger an Sioned gelegt hatte – allein das Bild stieß ihn ab. Er durfte es nicht einmal in Erwägung ziehen. Er musste nachdenken.
Urivals Status als hochrangiger Lichtläufer brachte sie an den Wachtposten vorbei, die in dem halbnackten jungen Mann, der ihn begleitete, Prinz Rohan gewiss nicht erkannt hätten. Ein Blitz von juwelenbesetzten Ringen, und sie wurden unter Verneigungen vorübergelassen, bis sie sich in Roelstras stillem Lager befanden.
»Heb deine Fackel hoch, Mann, und sieh ihn dir an«, brummte Urival den Wachtposten an. »Erkennst du Seine Königliche Hoheit etwa nicht?«
»Euer Gnaden! Aber was führt Euch um diese Zeit hierher? Man hat mir nicht gesagt, dass ich mit Besuchern zu rechnen hätte.«
»Private Dinge unter Prinzen«, bellte Urival. »Lass uns vorbei.«
Rohans Schritte wurden länger. Der Marsch hatte seinen Körper gefestigt. Er reckte die Schultern und spürte, wie sein Gesicht zu einer harten, grimmigen Maske wurde. Als er sich Roelstras Zelt näherte, hörte er Walvis wütende junge Stimme, gequetscht, als würde ihn jemand an der Kehle packen.
»Wagt es nicht, meine Herrin anzufassen!«
Innen brannte eine Lampe, und zwei Gestalten warfen ihre Schatten auf die Seide. Die eine war Roelstra. Er ragte vor dem Knaben auf, der offenbar an einen Stuhl gefesselt war. Rohan hörte Urivals hochmütigen Befehl den Wachen gegenüber, die gekommen waren, um über die Ruhe ihres Prinzen zu wachen, und hörte, dass sein eigenes Herz wieder lauter schlug. Dann endlich vernahm er Sioneds Stimme, belegt und undeutlich.
»Lasst den Knaben los.«
Roelstra lachte.
Denk nach, befahl sich Rohan selbst. Das kann ihr Leben retten. Denk nach, verdammter Kerl!
»Was war in dem Wein?«, fragte Sioned.
»Etwas, das sich als sehr nützlich erwiesen hat, um Leute wie dich zu zähmen. Aber es wird unser Vergnügen nicht verderben, meine Liebe.«
»Lasst sie in Ruhe!«, schrie Walvis.
»Schrei nur, so viel du willst, mein Kind. Hier kommt euch niemand zu Hilfe. Hier sind nur meine Männer – und ihre Loyalität mir gegenüber macht sie taub.«
Rohan warf einen Blick über die Schulter. Urival stand so, dass das Feuer zwischen ihm und den vier Wachen lag. Seine drohende Haltung war offensichtlich. Taub mochten Roelstras Leute ja sein, aber sie waren nicht blind, was die neun blitzenden Ringe des Faradhi anging.
»Was wollt Ihr von mir, Roelstra?«, fragte Sioned. »Meinen Körper, meine Fähigkeiten als Lichtläufer, oder beides?«
»Wenn Ihr sie anfasst, werdet Ihr sterben«, erklärte der Knappe. »Es ist verboten, einen Faradhi zu verletzen – und sie steht auch unter dem Schutz meines Herrn!«
Auf einmal begriff Rohan, dass die beiden mit Roelstras Aufmerksamkeit spielten wie mit einem Ball, um Zeit zu gewinnen. Was immer man Sioned gegeben hatte, und wie hilflos der Knappe auch war, so besaßen beide noch Verstand genug, um einander Stichworte zuzuspielen, als hätten sie ihr Leben lang geübt. Rohan dankte der Göttin dafür, dass diese beiden denken konnten, und folgte ihrem Beispiel. Er musste wissen, wo genau im Zelt sich Sioned befand. Der Winkel der beiden sichtbaren Schatten verriet, dass die Lampe in der Mitte des Zeltes stand, vielleicht auf einem Tisch; Sioned musste also auf der anderen Seite des Lichts sein, fern von Roelstra. Gut, sagte er sich; dadurch blieb ihm Raum zu handeln.
»Andrade wird das nicht besonders gefallen, wisst Ihr«, murmelte Sioned. »Ihr habt einen Faradhi zu Eurem eigenen Gebrauch entführt. Ich glaube nicht, dass sie das ein zweites Mal dulden wird.«
»Herrin«, warf Walvis ein, »von ihm wird nichts übrigbleiben, mit dem Lady Andrade etwas anfangen kann, wenn mein Herr erst mit ihm fertig ist.«
»Genug!«, befahl Roelstra. Rohan sah, dass er sich umdrehte und jetzt mit dem Rücken zum Zelteingang stand. Er schlüpfte lautlos durch die Klappen hinein.
Sioned kauerte auf dem riesigen Bett, die Knie ans Kinn gezogen. Die Lampe auf dem Tisch in der Mitte beleuchtete grausam ihr spitzes Gesicht, und in ihren Augen lag etwas Sonderbares, als könnte sie kaum sehen. Aber sie bemerkte ihn
Weitere Kostenlose Bücher