Sonnenlaeufer
auf. »Wenn du das gut verbindest und lange Ärmel trägst, wird dir niemand peinliche Fragen stellen«, riet er und verbarg sein Bedauern darüber, dass Roelstra ihm keinen Vorwand geliefert hatte, ihn zu töten. Er warf einen Blick zum Zelteingang, wo Urival Wache hielt, ein zufriedenes Lächeln auf dem Gesicht. »Binde den Knaben los«, forderte er den Faradhi auf, während er selbst zu Sioned hinüberging. »Kannst du stehen?«, erkundigte er sich liebevoll, und sie hob die Hände, die bislang in den Falten ihres Rockes verborgen waren. Er holte scharf Luft, als er die Seile sah, und schnitt sie mit seinem Messer durch. Andere Fesseln lagen um ihre Knöchel; auch diese zerschnitt er. Dann schob er beide Messer in seinen Gürtel und hielt ihre bleichen Wangen einen Moment zwischen seinen Händen. »Es ist alles gut, Sioned.«
Sie nickte. »Ich weiß.«
Er half ihr auf die Füße, einen Arm um ihre Taille. Gemeinsam traten sie Roelstra gegenüber, der seinen blutenden Arm hielt.
»Ich werde dein Messer als Andenken behalten«, erklärte Rohan. »Ich schlage vor, du hebst dir meines ebenfalls auf, wenn du es findest. Als Erinnerung daran, dass ich dich hätte töten können.« Er lächelte.
»Soll ich etwa dankbar sein, dass du es nicht getan hast?«
»Ehrlich gesagt, ja. Walvis, bist du in Ordnung?«
»Ja, Herr.« Der Knappe trat zu ihm, aufrecht und stolz. Rohan verspürte neue Wut, als er die Blutergüsse an den Handgelenken und die dunklen Flecken an seiner Kehle sah. »Es tut mir leid, dass ich meine Herrin nicht besser beschützt habe.«
»Ich weiß, du hast getan, was du konntest.«
»Verlasst mein Zelt«, befahl Roelstra.
»Schweig«, forderte Rohan ihn auf. »Und jetzt hör mir gut zu, Hoheprinz. Offiziell ist das hier niemals geschehen. Ich bin in erster Linie ein Prinz und erst in zweiter ein Mann – etwas, das du wohl nie verstehen würdest, also versuche es erst gar nicht. Aber ich schwöre dir, auch wenn der Prinz es ignoriert, der Mann wird es niemals vergessen.«
Roelstra lachte, jedoch nicht mehr sehr überzeugend. »Das Prinzchen weiß doch gar nicht, was ein Mann ist!«
Rohan fuhr fort, als wäre er überhaupt nicht unterbrochen worden. »Wenn du in den kommenden drei Jahren die von uns getroffenen Abkommen auch nur in einem einzigen Punkt verletzt oder wenn auch nur ein einziger deiner Männer unaufgefordert seinen Fuß auf mein Land setzt, dann werde ich es erfahren – und ich überlasse es dir, zu raten, welche Schritte ich unternehmen werde. Wenn du nur einen falschen Gedanken hast, der mich betrifft, werde ich auch das erfahren. Was nun die Merida angeht – ich werde mich selbst mit ihnen befassen. Aber wenn auch nur ein einziger Pfeil, ein Schwert oder ein Stück Brot in ihrem Besitz von dir geliefert wurde, dann werde ich das nicht nur erfahren, sondern dafür sorgen, dass auch alle anderen Prinzen das vernehmen. Dein eigener Vorschlag wird auf dich zurückfallen, Roelstra. Und dann kannst du versuchen, deinen Thron für einen Sohn zu bewahren, den du niemals haben wirst.«
»Große Worte für einen kleinen Prinzen.«
»Glaub sie lieber. Da wäre nur noch eines.« Er zog Sioned näher. »Wenn du meine Gemahlin noch einmal anrührst, werde ich dich töten.«
Er wartete gerade lange genug, um Entsetzen und Wut wie einen Sturm über das Antlitz des Hoheprinzen ziehen zu sehen. Dann zog er Sioned sanft mit sich hinaus in die saubere Nachtluft.
Urival und Walvis folgten ihnen. Die Wachen, die bis jetzt von dem Lichtläufer im Zaum gehalten worden waren, eilten in Roelstras Zelt, und gleich darauf erklangen Rufe nach Wasser, Verbandszeug und dem Leibarzt des Hoheprinzen. Sioned stolperte, als Roelstra lautstark den Befehl erteilte, allein gelassen zu werden. Seine Stimme ließ sie zusammenfahren. Rohan machte eine Bewegung, als wollte er sie tragen, aber sie schüttelte stumm den Kopf. Sie ließen Roelstras Lager hinter sich, und niemand sagte ein Wort, bis sie das erste der blauen Wüstenzelte erreichten.
Schließlich hielt Walvis es nicht länger aus und platzte los: »Es tut mir leid, Herr! Ich habe zugesehen und bin gefolgt, aber sie haben mich genauso überrascht wie meine Herrin …«
»Du trägst daran keine Schuld«, beruhigte ihn Rohan. »Und du hast deine Sache sehr gut gemacht, Walvis, indem du ihn so lange abgelenkt hast. Ich bin stolz auf dich, weil du nicht geschrien hast. Es hätte nichts genützt, aber du wärest vielleicht umgebracht worden. Ich kann es mir
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