Sonnenlaeufer
Droge, dass es dir sogar gleichgültig ist …«
»Eure Droge, Herrin, die Ihr mir gegeben habt, wieder und wieder, und …« Er lachte erneut, was in einem Hustenanfall endete.
»Wenn Roelstra sie hat, braucht er dich nicht mehr – und er kann dich nicht am Leben lassen! Willst du wirklich sterben?«
Crigo zuckte mit den Schultern. »Ich sehe nicht, welchen Unterschied das noch macht.« Er holte tief Luft und schüttelte den Kopf. »Ich brauche Mondlicht«, schloss er knapp.
Sie stöhnte vor Erleichterung fast auf und wies auf die Fenster. »Bedien dich.«
»So weit kann ich nicht laufen. Helft mir.« Als sich ihr Gesicht vor Abscheu verzerrte, höhnte er: »Wenn Ihr das wollt, müsst Ihr mir helfen! Ihr habt mir genug gegeben, um zehn Faradhi’im abhängig zu machen! Verdammt, Palila, helft mir!«
Er stützte sich bei den wenigen Schritten zu den Fenstern schwer auf sie. Sie bemühte sich, die schweren Vorhänge beiseitezuschieben, als Crigo sich an die Wand lehnte und den Atem anhielt. Mondlicht fiel herein und strömte über seine aschfahlen Wangen und seine Augen, die in dunklen, tiefen Höhlen lagen.
»Tu etwas!«, befahl Palila.
»Schweigt!«, fuhr er sie grob und hart atmend an. »Ihr habt mir zu viel gegeben. Ich kann es fühlen. Ich weiß nicht, wie schnell ich tot sein werde, aber ich weiß verdammt gut, dass ich sterbe.«
»Aber das darfst du nicht! Nicht, ehe du …«
»Ehe ich Euch geholfen habe? Im Namen der Göttin, Palila, glaubt Ihr wirklich, ich würde das für Euch machen?« Er stieß ein schwaches Lachen aus. »Es liegt eine gewisse Freiheit darin, wisst Ihr – in dem Wissen, dass man sterben wird.«
Sie schrak vor ihm zurück. Er bemerkte es kaum. Ein letztes Mal sammelte er sein Wissen und seine schwindende Kraft, um ein letztes Mal das kühle Mondlicht zu verweben, so wie Lady Andrade selbst es ihm vor Jahren beigebracht hatte, als er noch jung gewesen war und die Ringe verdient hatte, die er trug. Er ließ in Gedanken seine eigenen Farben erstehen und staunte, dass die Finsternis, die sie nun so lange gedämpft hatte, von ihnen gewichen war, als hätte der bevorstehende Tod Gaben neu poliert, die er befleckt hatte. Wie schön, dachte er und tastete nach den Mondstrahlen und wirkte sich in sie hinein, dieses eine, letzte Mal als ein wahrer Faradhi , ein Lichtläufer, der das Licht reiten konnte.
Die süße Macht erfüllte ihn, und die Fäden verschränkten sich auf sein Kommando zu einem einzigen, geschmeidigen Strang. Seine eigenen Farben verbanden sich mit dem Mondschein, verblassten und verwischten, als er absichtlich das Lichtmuster vergaß, das nur ihm allein gehörte. Es bedeutete ihm nichts mehr. Der Schattentod wäre entsetzlich gewesen, aber Crigo würde auf dem Licht sterben. Er verwebte sich selbst in kühles Mondfeuer, floh hinein und verlor sich selbst. Das letzte Mal – aber welch süße Freiheit auf dem Mondschein, welcher Frieden.
Andrades Ringe schimmerten, als sie eine Hand hob, um sich etwas über die Stirn zu wischen. Da war etwas, vielleicht ein Insekt. Ihre Finger fühlten nichts als eine lose Haarsträhne. Sie ging schneller auf ihr Zelt zu, schüttelte den Kopf, um den Wein zu vertreiben, und schalt sich selbst, weil sie der ausgezeichneten Syrener Rebe gegenüber schwach geworden war, die Rohan zum Essen hatte servieren lassen. Da war es wieder, dieses Gefühl, als hätte etwas Geflügeltes ihre Stirn berührt, und wieder wischte sie zornig darüber. Dann taumelte sie gegen Urival, als ein tiefer Schrei die Nachtstille zerriss. Drachen. Sie schaute auf und sah ihre ausgebreiteten Schwingen dunkel vor den Sternen und Monden. »Drachenschrei vor Sonnenaufgang«, flüsterte sie und starrte auf die düsteren Schatten, die von einem einzigen männlichen Tier angeführt wurden, das jetzt erneut seine Herrschaft über den Himmel hinausbrüllte.
»Nun sag bloß nicht, du glaubst an diese Legende«, meinte Urival, aber seine Stimme klang nicht so locker wie seine Worte.
»Drachenschrei vor Sonnenaufgang«, wiederholte Andrade gedämpft. »Tod vor Sonnenaufgang. Spürst du es denn nicht?« Sie schauderte, rieb mit beiden Händen ihr Gesicht. Aber die Farben ihrer Ringe drangen in ihre Augen, stießen auf Farben, die absichtlich zerstört wurden, und bleiche Glassplitter betäubten ihre Gefühle. Sie schrie auf und klammerte sich an Urivals Arm. Er rief ihren Namen, aber sie hatte keinen Willen oder keine Stimme mehr, ihm zu antworten. Ihr Gesicht wandte sich
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