Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sonnenlaeufer

Sonnenlaeufer

Titel: Sonnenlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
Vom Netzwerk:
Kind.
    Ianthe starrte auf das wimmernde Bündel in ihren Armen und lachte leise vor Erregung. Für sie war das Geschlecht des Kindes ohne Bedeutung. Knabe oder Mädchen, sie hatte gewonnen. Jetzt musste sie nur noch zwischen den Vorteilen wählen; sie hatte alle Möglichkeiten durchdacht.
    Sie blieb im Gang stehen, lauschte und lachte wieder, als die Schiffsglocke mit schrillen Klängen die Geburt verkündete. Das war das vereinbarte Zeichen, und Pandsala würde gleich hierherkommen. Wenn sie kein männliches Baby greifbar hatte, würde sie ein Mädchen bringen müssen. Ein Jammer, dass Roelstra noch nicht gekommen war – aber Andrade würde einen noch besseren Zeugen abgeben. Sie hörte das leise Weinen eines anderen Neugeborenen, das hastig beruhigt wurde, und hielt den Atem an. Ihr eigenes Spiel konnte beginnen, das Spiel, für das sie die Regeln erdacht hatte.
    »Ianthe?«, erklang Andrades Stimme hinter ihr, und sie verbarg ihren Jubel über diesen perfekten Zeitpunkt. »Was machst du hier? Das Kind wird sich erkälten.«
    »O nein, das ist eine sehr dicke Decke.« Sie drehte sich lächelnd um. »Ich dachte, das ganze Geschwätz dort drinnen würde das arme, kleine Ding ängstigen. So ein hübsches Baby – ich wünsche mir so sehr ein eigenes Kind.«
    Andrades Ausdruck verriet deutlich ihre Zweifel daran, dass Ianthe der mütterliche Typ war. »Lass mich einmal einen Blick darauf werfen«, bat sie und schob die Decke vom Gesicht des Kindes. »Ein hübsches Kind. Sieh nur, all das Haar!«
    Sie hatten in normaler Lautstärke gesprochen, aber das Läuten der Glocke und das Durcheinander in Palilas Kabine hatten ihre Stimmen übertönt. So trat Pandsala vollkommen unvorbereitet von der Treppe in die Halle und rief: »Ianthe, ich habe ein anderes Kind mit mir nach oben gebracht, aber …« Sie blieb abrupt stehen und stöhnte: »Lady Andrade!«
    Ianthe wusste, dass ihr eigenes Gesicht ein perfektes Bild des Erstaunens war; sie hatte diesen Ausdruck vor einem Spiegel geübt, bis sie ihn ohne das geringste, amüsierte Zucken beibehalten konnte. »Pandsala! Warum hast du das Kind da von seiner Mutter getrennt?«
    Pandsala wurde krankhaft bleich. Sie taumelte leicht gegen eine Wand, und ihre Arme schlossen sich krampfhaft um das violette Bündel. Ianthe genoss einen Moment das Entsetzen in den Augen ihrer Schwester. Dann wandte sie sich an Andrade.
    »Ja«, meinte auch diese. »Warum hast du das Baby hierher gebracht?«
    Pandsala starrte Ianthe noch immer an. Entsetzen verzerrte ihr Gesicht, als ihr klar wurde, wie man sie hereingelegt hatte. Ihre Lippen öffneten sich und bewegten sich, aber kein Laut kam über sie. Ein weiterer Glockenschlag verkündete die Ankunft des Hoheprinzen, und sie alle hörten Roelstras glückliches Rufen.
    »Im Namen der Göttin! Könnt Ihr es glauben? Ich habe einen Sohn!«
    Ianthe schaute Andrade an. »Wer hat ihm denn das erzählt?«, hauchte sie.
    Licht sprühte aus Andrades vielen Ringen, als sie Ianthes Arm schmerzhaft umklammerte. »Ist es ein Mädchen? Eine Tochter?«
    »Ein sehr süßes kleines Mädchen«, antwortete Ianthe mit genau dem richtigen Maß an Verwirrung. »Vater ist doch inzwischen daran gewöhnt.«
    Roelstras Gegenwart erfüllte den schmalen Gang. »Andrade! Was bringt Euch hierher? Ihr seid doch gewiss nicht gekommen, um mir zu meinem Sohn zu gratulieren!«
    »Da Euer Leibarzt nicht zur Verfügung stand, kam ich, um Eurer Dame zu helfen. Doch ich glaube nicht, dass der Gang der geeignete Ort für Euch ist, um Euer neues Kind zu begrüßen.« Mit einem kalten Blick befahl sie Pandsala und Ianthe in die Kabine. Roelstra folgte. Er spürte, dass etwas nicht stimmte. Andrade befahl den Dienerinnen, das Baby aus Pandsalas verzweifelter Umklammerung zu befreien und den Raum zu verlassen. Dann verriegelte sie die Tür und trat den im Raum Anwesenden mit eisigem Lächeln gegenüber.
    »Und nun«, erklärte sie, »will ich die Wahrheit wissen.«
    »Wovon redet Ihr?«, erkundigte sich Roelstra. »Ich wünsche meinen Sohn zu sehen!« Er blickte von einer Prinzessin auf die andere und dann auf die geschlossene Tür. Das zweite Kind war von einer Magd fortgebracht worden. Seine Augen färbten sich langsam dunkel. »Ich glaube nicht, dass es sich um Zwillinge handelt«, fügte er hinzu.
    »Ihr habt keinen Sohn«, klärte Andrade ihn auf, und Ianthe hörte die grimmige Zufriedenheit in ihrer Stimme. »Ich frage mich, welche Eurer Töchter Euch etwas erklären will.«
    Der Hoheprinz

Weitere Kostenlose Bücher