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Sonnenlaeufer

Sonnenlaeufer

Titel: Sonnenlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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haben, um Vater einen Sohn zu schenken oder um ihn eines Sohnes zu berauben?«
    »Weiter«, forderte Andrade eisig.
    Ianthe zuckte die Schultern. »Was müsste das für ein Ungeheuer sein, das einen königlichen Prinzen – und noch dazu den eigenen Bruder! – fortgibt, so dass er als gemeiner Diener aufwächst? Ich bin weder so schlecht, Vater, noch so dumm. Glaubst du wirklich, ich wäre zu einem so entsetzlichen Plan fähig? Noch dazu zu einem, der so unglaublich unpraktisch ist?«
    »Nein«, antwortete Roelstra sehr leise, und seine grünen Augen funkelten. »Wenn es ein Knabe gewesen wäre, dann hättest du ihn ermorden lassen. Ich kenne dich, Ianthe.«
    »Vater!« Für einen Moment war sie entsetzt.
    »Hört auf, alle beide!« Andrade musterte sie voll Abscheu. »Ihr seid alle Schlangen, jeder einzelne von Euch. Was wollt Ihr jetzt tun, Roelstra?«
    »Mich interessiert im Augenblick mehr, was für die Frauen da unten geplant war.« Er starrte Ianthe weiterhin an. »Was würdest du tun, meine Liebe?«
    »Nichts, weil ich nichts damit zu tun habe«, antwortete sie prompt.
    »Aber wenn du es hättest?«, drängte er.
    »Vater – glaubst du ernstlich, ich hätte diese Frauen ermorden lassen?«
    »Ich dachte, du würdest die Notwendigkeit erkennen. Du bist schon immer klug gewesen, Ianthe.« Dann wandte er sich Pandsala zu und fragte: »Weißt du, welche Strafe auf Verrat steht?« Sein Blick zuckte zu Palila, die einen Schrei ausstieß.
    »Vater – nein!« Am ganzen Leib zitternd fiel Pandsala auf die Knie.
    »Verrat«, wiederholte er leise.
    Andrade trat zwischen sie. »Roelstra«, bat sie leise. »Tut das nicht.«
    »Das geht Euch nichts an, Faradhi .«
    »Tötet sie nicht, überlasst sie mir.«
    »Was? Warum?«
    »Ihr seid mir noch etwas schuldig. Der Lichtläufer, den Ihr korrumpiert habt, ist heute Nacht gestorben.«
    »Crigo ist tot?« Roelstra schien erschüttert.
    »Es war ein Unfall.« Palila richtete sich verzweifelt auf, die Hände ausgestreckt und bebend wie zarte Blätter. »Er hat zu viel genommen, und ich …«
    »Schweig!«, brüllte Roelstra sie an.
    »Ich werde Pandsala als Entschädigung nehmen«, erklärte Andrade, und Ianthe kicherte innerlich. »Und das neue Kind ebenso. Das Letzte, was Ihr braucht, ist eine weitere Tochter. Gebt sie mir.«
    »Lebendig begraben in der Schule der Göttin«, murmelte er nachdenklich, und seine Augen leuchteten in grausamem Humor. Pandsala schrie auf. »Also gut. Sie gehören Euch.«
    »Vater, nein!«
    »Was ist mit Palila?«, fragte Andrade.
    »Ihr werdet nicht leugnen, dass sie den Tod verdient, weil sie Euren Faradhi getötet hat. Ich bin sicher, Eure kostbare Sioned hat Euch inzwischen alles über Dranath erzählt, nicht wahr? Schade, dass ich sie damit heute Abend nicht getötet habe.«
    Der Hoheprinz und die Herrin der Schule der Göttin starrten einander an, und Ianthe beobachtete sie verwirrt. Was war heute Nacht tatsächlich mit Sioned geschehen?
    »Mischt Euch nicht ein, Andrade. Ich warne Euch.« Er machte eine Pause. »Ianthe.«
    Sie erhob sich, wachsam, obwohl sie fast sicher war, soeben einen Sieg errungen zu haben.
    »Zeig sie mir.«
    Sie trat vor und streckte ihm das Baby entgegen. Er sah es einen Moment an, wickelte es dann aus der violetten Decke, um sich zu vergewissern, dass das Kind tatsächlich weiblich war. »Chiana«, sagte er. »Nennt sie so, Andrade, damit sie es nie vergisst.«
    Ianthe unterdrückte einen Schauder. Das Wort bedeutete »Verrat« in der alten Sprache. Andrade nahm ihr das Kind ab und warf einen Blick auf die weinende Pandsala.
    »Steh auf. Als Erstes wirst du lernen, dass ein Lichtläufer vor niemandem niederkniet. Nicht einmal vor einem Hoheprinzen.«
    »Außer, es handelt sich um meinen Lichtläufer, nicht den Euren«, widersprach Roelstra, und Andrade bedachte ihn mit einem bösen Blick.
    Ianthe blickte in Pandsalas Augen, Augen, die stumpf waren vor hoffnungslosem Entsetzen und unfähig zu glauben, was geschehen war. Ganz plötzlich schien sie Ianthe zu erkennen und sprang auf. Ihre Hände schlossen sich um den Hals ihrer Schwester.
    Roelstra zerrte seine Töchter auseinander. Pandsala brach auf dem Teppich zusammen, und Ianthe schluckte krampfhaft. Ihre Kehle schmerzte. Der Hoheprinz riss die Kabinentür auf und rief nach den Wachen, die Pandsala in Andrades Zelt bringen sollten – gefesselt und geknebelt, wenn nötig. Ianthe hörte sie schreien, als sie im Gang war, ein Heulen von Hass und Verzweiflung, und sie

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