Sonnenlaeufer
erschauderte.
Dann trat Stille ein. Palilas Angst war so groß, dass sie nur stumm vor Entsetzen im Bett liegen konnte. Andrade hielt das Baby fest an sich gepresst und starrte Roelstra an.
»Wo ist Crigo?«, fragte sie.
»Ich lasse ihn in Euer Zelt bringen, wenn Ihr es wünscht.«
»Tut das«, bellte sie.
Ianthe wich vor der Heftigkeit ihrer Gefühle zurück. Dies war ein uralter Hass, weit mächtiger als alles, was sie je zuvor erblickt hatte. Er besaß ein ganz eigenes, bitteres Leben und war in der Luft zwischen den beiden nahezu greifbar.
»Ich werde ihn zerstören«, erklärte Roelstra plötzlich. »Seine Ehe wird sein Ende sein.«
»Ihr wolltet vor langer Zeit eine ähnliche Ehe eingehen. Mit einer anderen Lichtläuferin.«
»Daher also seid Ihr auf diesen Einfall gekommen. Habt Ihr meinen Zorn mit eingerechnet, als Ihr alles vorbereitet habt?«
»Euer Zorn ist Euer eigenes Problem. Ich habe nichts vorbereitet. Die Göttin …«
»Tut für gewöhnlich, was Ihr ihr sagt. Sucht nur Entschuldigungen. Wenn Ihr glaubt, seine Söhne werden ihm auf den Thron folgen, dann täuscht Ihr Euch.«
»Und das von einem Mann, der immer noch glaubt, er könnte einen eigenen Sohn bekommen?« Sie lachte boshaft. »Sucht Euch eine andere Mätresse, Roelstra! Schwängert noch ein Dutzend anderer Frauen! Es wird keinen Sohn für Euch geben!«
»Raus!«, brüllte er.
Andrades Gelächter schien noch lange, nachdem sie die Tür hinter sich zugeworfen hatte, durch die Kabine zu hallen. Ianthe sank in einen Sessel und schloss die Augen. Sie hatte gewonnen. Wenn Roelstra ihr glaubte – und selbst wenn nicht. Sie hatte gewonnen. Er hatte sie nicht zusammen mit Pandsala verurteilt.
»Roelstra – o nein, Herr, bitte – im Namen unserer Kinder …«
Ianthes Kopf fuhr hoch. Palila kauerte in den weißen Kissen, ihre Augen waren riesig, als sie wie gebannt auf die Kerze starrte, die Roelstra von einem Tisch genommen hatte.
»Ich erinnere mich an das Feuer, Palila«, sagte er fast zärtlich, und sie wimmerte. »Hast du heute Nacht den Drachenschrei gehört?«
Ianthe sprang auf die Füße. Sie hatte diesen Ton noch nie in der Stimme ihres Vaters vernommen –, und sie wollte fort. Sofort. Er spürte die Bewegung hinter sich und befahl, ohne sich umzudrehen: »Bleib.« Ianthe erstarrte und wagte kaum zu atmen. Roelstra trat näher an Palilas Bett, in der Hand die nackte Kerze. Die Flamme zuckte gierig in die Luft.
»Weißt du, wo Feruche liegt, Ianthe?«, fragte er.
»Ja, Vater.«
»Es liegt an der Grenze zwischen der Prinzenmark und der Wüste«, fuhr er fort. »Ich habe schon seit geraumer Zeit über Feruche nachgedacht, und darüber, wen ich dort unterbringen könnte. Es muss jemand sein, dem ich trauen kann.« Er warf ihr über die Schulter einen Blick zu. »Willst du das Prinzchen immer noch haben?«
»Ja«, erklärte sie ohne Umschweife.
»Dein Glück hat dich verlassen, meine Liebe«, erklärte er ihr mit grimmiger Belustigung. »Feruche magst du bekommen, aber Rohan bekommst du nicht. Wie es scheint, hat die Lichtläuferin ältere Ansprüche.«
»Die Lichtläuferin«, wisperte Ianthe. Ganz plötzlich verstand sie den Hass, der zwischen ihrem Vater und Andrade durch die Luft gepeitscht war. Wut und verletzter Stolz und das Verlangen nach Rache durchfuhren sie und erzeugten einen Hass, den sie empfing wie einen Liebhaber. Ihr Leben lang war sie leer gewesen und hatte darauf gewartet, mit diesem süßen, heißen Ding gefüllt zu werden, das jetzt in ihr wuchs, von Blut und Rache singend. Jetzt endlich hatte sie ihre Definition der Macht gefunden – und das nicht durch einen prinzlichen Ehemann oder durch ihren Vater oder irgendeinen anderen Menschen – die Definition einer Macht, die stärker war als die Gaben einer Lichtläuferin. Das war es, was ihren Vater zu einem so mächtigen Prinzen machte: Er konnte hassen.
»Wie ich sehe, verstehst du mich«, sagte er. »Kehre ins Lager zurück, Ianthe, und warte auf mich. Wir haben viel zu besprechen, wenn ich hier fertig bin.«
Als sie die Tür schloss, sah sie noch, wie die Flamme vor Palilas entsetztem Gesicht hochschlug. Und als sie vom Schiff an Land trat, hörte sie den ersten von vielen, vielen Schreien.
Das Licht der Morgendämmerung fiel durch blasse, silbergrüne Blätter, ein Licht, so samtig wie neue Rosen. Sioned, wie alle Faradhi’im empfänglich für Farben, lag auf der Seite und fragte sich, ob sie je zuvor solch schönes Licht gesehen hatte. Sie
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