Sonnenlaeufer
entlang, und alles Weiß war so rein, dass es die Augen schmerzte. Der Abend schuf, vor allem im Frühjahr und Herbst, einen rosigen Glanz und sonderbare, grünliche Schatten, die auf den Dünen zu Purpur verblassten und Stronghold in eine geheimnisvolle Wärme tauchten, wenn sich die Nacht herabsenkte. Und die Sterne – sie hatte in ihnen immer bloß so etwas wie Nadelköpfe gesehen, die am Himmel strahlten, aber hier in der Wüste spürte sie ihre Farben, Scharlach und Blau und Feuerrot – und sie drohten ihre Sinne zu sprengen. Ganz besonders liebte sie diese Farben, die sie in den Sternen fühlte.
Die meisten hätten sicher gesagt, die Wüste sei leblos. Abgesehen von kleinen, abgeschiedenen Orten gab es keine Bäume, kein Gras, keine Blumen; es gab keine kleinen Geschöpfe, die einander in der Stille etwas vorsangen; keine Fische glitzerten in Flüssen; keine Ernte, kein Obst reifte zwischen breiten Blättern. Es war hier anders als an allen Orten, an denen Sioned je gelebt hatte, und doch wusste sie, dass hier Leben war. Sie konnte es mit ihren Faradhi -Sinnen berühren. Das Leben der Wüste lag in den Millionen Farben.
Sie wandte sich um, als jemand das Vorzimmer betrat, und lächelte über die lebhaften Farben, die ihr Neffe Tilal trug. Sie ging zu ihm und setzte ihm eine Mütze auf die dunklen Locken. »Da – das gibt der Ausstattung den letzten Schliff. Komm, sieh dich mal im Spiegel an.«
Er gehorchte und riss die Augen auf. »Oh! Du hast die Farben von River Run mit denen meines Herrn gemischt!«
»Eines Tages wird dein Rittergewand dieselbe Kombination haben – Rohans Blau und Silber, dein eigenes Schwarz und Grün, wenn dein Vater damit einverstanden ist.«
»Mama wird entzückt sein«, antwortete Tilal und grinste spöttisch.
Vergeblich bemühte sich Sioned, ein Lächeln zu unterdrücken. Um den Mangel an Respekt vor ihrer Schwägerin zu verbergen, kehrte sie ans Fenster zurück und schaute in den Hof hinab. Die Pferde waren gesattelt und bereit. Soldaten füllten am Brunnen ihre Wasserschläuche, und Ostvel marschierte zwischen ihnen auf und ab und überprüfte eine Liste. Sein Anblick erinnerte Sioned an etwas anderes, und sie winkte den Knaben zu sich her.
»Hat Ostvel dir die Börse gegeben, die deine Mutter dir geschickt hat? Du wirst eine Menge Dinge finden, für die du dein Geld ausgeben möchtest, aber vergiss nicht, dir noch etwas fürs Rialla aufzuheben.«
»Ich habe nur die Hälfte mitgenommen, aber ich hoffe, es reicht, um neue Saiten für Ostvels Laute zu kaufen.«
Sioned zog überrascht die Brauen hoch. Ostvel hatte die Laute schon seit langem nicht mehr zur Hand genommen – und zwar nicht, weil die Saiten alt waren, sagte sie sich traurig. Er ließ sich nicht überreden, Musik zu machen, nachdem Camigwen ihm nicht mehr zuhören konnte.
»Ich habe ihm das Versprechen abgenommen, Riyan zu unterweisen«, erklärte Tilal selbstzufrieden.
»Das war sehr klug von dir! Ich wünschte, ich wäre selbst schon eher auf diesen Gedanken gekommen!« Sie nahm ein paar Münzen aus einer Schüssel und warf sie dem Knaben einzeln zu, der sie lachend auffing. »Nimm die, um davon die Saiten zu kaufen, und gib dein eigenes Geld für dich selbst aus.«
»Danke, Mylady. Jetzt weiß ich, dass ich mir auch die anderen Sachen leisten kann, die ich begehre.«
»Was denn zum Beispiel?«
»Das ist ein Geheimnis.«
»Sogar vor mir?«, schmeichelte sie.
Er zögerte. »Äh … nun ja. Ist das in Ordnung?«
»Natürlich. Aber such etwas, das du haben möchtest, Tilal. Riyan hat wirklich genug Spielzeug.« Sie lachte, als der Knappe seine grünen Augen weit aufriss, weil sie richtig geraten hatte. Es war nicht sehr schwer gewesen. Das selbstsüchtige Kind, das nach Stronghold gekommen war, hatte eine Menge Veränderungen durchgemacht, und alle zu seinem Besten. »Deine Mutter hat das Geld geschickt, damit du dir selbst ein paar schöne Dinge kaufen kannst«, erinnerte sie ihn. »Und es ist nichts Unrechtes dabei, wenn du dir selbst hin und wieder ein Geschenk machst.«
»Danke, Tante Sioned«, sagte er, als er die Münzen in die Tasche schob. Walvis bellte seinen Namen im Hof unten, und Tilal beugte sich aus dem Fenster und brüllte zurück: »Ich komme!« Dann ging er noch einmal zum Spiegel hinüber, um sich erneut zu inspizieren.
»Du siehst sehr erwachsen aus«, neckte Sioned. »Und in ein paar Jahren wirst du all dein Geld ausgeben, um die Damen zu beeindrucken.« Sie rückte seinen Mantel
Weitere Kostenlose Bücher