Sonnenlaeufer
es drei?«
Verblüfft folgte sie ihm in das Haus aus Stein und Holz, das Baisal als Speisesaal, als Gerichtssaal und als Schlafquartier für seine Diener diente. Am anderen Ende befand sich eine hölzerne Treppe, die zu einem kleinen Anbau führte, den Privatgemächern der Familie. Sioned führte Davvi nach oben in den Raum, den Baisals Töchter für sie freigemacht hatten. Dabei redete sie die ganze Zeit, erhielt aber keine Antwort.
»Verdammt, erzähl mir, weshalb du hier bist!«, forderte sie und bohrte ihre Fingernägel in seinen Arm. »Du solltest mich doch in fünf Tagen an der südlichen Brücke treffen!«
»Es ist weit bis nach River Run«, bemerkte er unzusammenhängend.
»Das weiß ich!« Sie hörte selbst die Hysterie in ihren Worten, schlug die Tür hinter sich zu und presste die Handflächen gegen das Holz. Dann atmete sie mehrmals langsam und tief durch. Als sie sich wieder umdrehte, saß ihr Bruder auf einem Schemel, einen Weinkelch in der Hand. Sioned stemmte die Fäuste in die Hüften, und nachdem sie noch einmal tief Luft geholt hatte, forderte sie ihn auf: »Erzähle.«
Mit einem Zug trank Davvi fast den halben Kelch leer. »Ist es unter der Würde einer Prinzessin, mir Wein nachzuschenken? Du selbst solltest auch welchen trinken, Sioned.«
»Wenn du mir nicht augenblicklich erzählst, warum du mit einer halben Armee hier bist, dann gieße ich dir das hier über den Kopf!« Sie füllte seinen Kelch erneut, ehe sie seinem Rat folgte und auch sich selbst etwas einschenkte.
»Wenn es doch bloß eine halbe Armee wäre!« Er seufzte, presste die Hände um den Kelch, stützte die Ellbogen auf die Knie und ließ die Schultern hängen. »Roelstra hat Euren jungen Prinzen genau dort, wo er ihn haben will.« Einen Moment lang glaubte sie, er spräche von Rohan, und fragte sich, woher er etwas über ihn wissen konnte. Doch dann begriff sie, dass er Prinz Jastri meinte, den sechzehnjährigen Sohn ihres Verwandten Prinz Haldor, der an der Seuche gestorben war. »Was willst du damit sagen?«
»Ich war dort bei Hofe, in Hoch Kirat, als Roelstras Mann kam. Keiner von uns hat sich viel dabei gedacht. Jastri ist kein dummer Kerl, nur eben sehr jung. Und ehrgeizig. Er und Roelstra haben militärische Manöver in den Ebenen des Catha-Flusses vor. Militärische Manöver«, wiederholte er dumpf. »Ich sollte mich zu ihnen gesellen, bin aber stattdessen hierhergekommen. Er ist nur ein entfernter Vetter. Aber du bist meine Schwester.«
Sioned erblasste, als sie aus dem allen den Schluss zog, der offensichtlich war. »Gütige Göttin«, hauchte sie und sah den Wandteppich mit der Landkarte in Rohans Arbeitszimmer, als würde er erst jetzt vor ihr ausgebreitet. Die Merida im Norden, Roelstra und Jastri mit Truppen im Süden. Kein vernünftiger Prinz – und keine Prinzessin – konnte auch nur eine dieser Gefahren ignorieren.
»Du weißt natürlich, worauf es der Hoheprinz abgesehen hat«, fuhr Davvi fort. »Jastri wird seinen Platz einnehmen. Das alles unter dem Vorwand, dass er dem Knaben beibringen muss, wie er ein General wird – das muss jeder Prinz sein, und Haldor hat nicht lange genug gelebt, um seinen Sohn in der Kriegskunst zu unterweisen. Roelstra wird Truppen aufgestellt haben, die in die Wüste einmarschieren sollen. Sioned, er ist nur noch einen Tagesmarsch vom Faolain entfernt. Du kannst meine Leute haben, wenn du sie brauchst. Es kümmert mich keinen Deut, wenn ich den Eid breche, den ich Jastri geleistet habe. Er hat ihn mir gegenüber gebrochen, und auch jedem anderen Athri in Syr gegenüber, weil er mit Roelstra gemeinsame Sache macht.«
»Aber …«
»Du wolltest es wissen, also lass mich jetzt auch alles sagen.« Er trank noch mehr Wein und reckte den Rücken. »An deiner Stelle würde ich sofort jemanden zu Lord Chaynal senden und ihn auffordern, sich zum Krieg bereit zu machen. Roelstra wird irgendeinen Vorwand finden, um den Faolain zu überqueren. Vielleicht kann dein Rohan seine drachenschlaue Zunge einsetzen, um sich herauszureden, aber ich halte das für unwahrscheinlich. Ich bin überzeugt, dass Roelstra Rohan bis zum Rialla aus dem Weg haben möchte, damit die Wüste ihm gehört – oder den Merida, was auf dasselbe hinausläuft.« »Rohan …« Sie stöhnte auf, fasste sich dann aber, indem sie den Smaragdring an ihrer linken Hand anstarrte. »Die Merida werden den Norden schon bald angreifen. Das habe ich soeben über das Sonnenlicht erfahren. Unsere Streitkräfte werden
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