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Sonnenlaeufer

Sonnenlaeufer

Titel: Sonnenlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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geistesabwesend geworden, hatten sich auch bei ihr alle Gedanken und Gefühle nach innen gewandt. Sioneds Leib mochte leer sein, aber sie durchlebte die Schwangerschaft ebenso sicher wie Ianthe.
    In einer frühen Winternacht, bei Mondaufgang, als die Wolken über den nördlichen Horizont glitten, trieb der Alarm, auf den Sioned gewartet hatte, die Bediensteten in Feruche aus ihren Betten. Sie hielt sich gerade lange genug auf dem Mondlicht auf, um sicher zu sein, dass es sich nicht um falsche Wehen handelte, und lächelte – eine seltsame Mischung aus Neid und Befriedigung –, als sie sah, wie sich Ianthes Körper in Krämpfen wand. Dann kehrte sie nach Stronghold zurück und ließ Tobin und Ostvel rufen.
    »Vierzig Tage zu früh«, erzählte Sioned ihnen, als die beiden verschlafen und besorgt in ihren Gemächern eintrafen. »Ich hatte so ein Gefühl. Wir reisen heute Nacht ab.«
    Bald darauf galoppierten drei Reiter auf Chays besten Pferden gen Norden. Bleiche Gestalten auf bleichen Pferden ritten stumm und schnell durch die Nacht, die von drei Vollmonden erhellt wurde. Sioned allein zeigte keine Furcht. Tobin, die den ganzen Sommer und Herbst hindurch von Sioned in bestimmten Faradhi -Techniken unterwiesen worden war, wiederholte im Geiste, was man ihr beigebracht hatte. Sie konnte jedoch die Schauder nicht unterdrücken, die hin und wieder durch ihren Körper liefen. Ostvel öffnete und schloss die Finger um sein Schwert. Er vermochte nicht zu protestieren, vermochte aber auch nicht zurückzubleiben. Keiner von beiden wagte es, die Frau anzusprechen, die zwischen ihnen ritt, den Körper eifrig vorgebeugt, mit blitzenden, grünen Augen.
    Am Tage übernahm Sioned die Führung durch die Hügel, wo sich – früher im Jahr – Drachen bekämpft und gepaart hatten. Sie hatte diesen Pfad nach Feruche schon früher benutzt, aber diesmal kannte sie ihn. Im Frühjahr hatte sie einen falschen Weg eingeschlagen. Der düstere Albtraum dieser einsamen Reise war mit dem Horror von Feruche und der Rückkehr nach Stronghold verschmolzen. Aber wenn dieser Ausflug auch einem Traum ähnelte, so schien doch alles wie bei einer Feuerbeschwörung von strahlenden Flammen umgeben zu sein.
    Zehn Längen von Feruche entfernt, direkt hinter den ersten Wachtposten, hielt sie an, um nach dem langen, schnellen Ritt des Tages eine Weile auszuruhen. Nachdem sie abgestiegen waren und die Pferde angebunden hatten, gingen sie das letzte Stück des Weges zu Fuß, während bereits die Nacht anbrach. Das Schloss kam über den Felsen in Sicht, in die letzten Strahlen der Wintersonne getaucht, die Türme von einem goldenen Leuchten gekrönt, das wie Honig an den Mauern herablief. Sioned blieb einen Moment stehen, um die Schönheit Feruches in sich aufzunehmen. Sie erinnerte sich daran, dass Rohan ihr versprochen hatte, eines Tages würde das Schloss ihr gehören. Und das würde es, sagte sie sich. Heute!
    Lärm drang aus der Burg, offenbar die trunkene Feier der sicheren Geburt eines weiteren Sohnes der Prinzessin. Sioned lauschte, und ein winziges Lächeln zuckte von Zeit zu Zeit um ihren Mund. Sie spürte Tobin und Ostvel hinter sich, die nervös warteten. Innerlich beschwor sie Maetas Anweisungen aus diesem Frühjahr herauf. Sie sah sie jetzt so deutlich vor sich, als wäre die Kriegerin bei ihr.
    »Es gibt in der ganzen Wüste kein einziges Schloss, das ich nicht in- und auswendig kenne. Und was noch wichtiger ist: Ich weiß, wie man von außen nach innen kommt. Es gibt hier in Stronghold mehr Geheimnisse als nur diesen Grotten-Durchgang, aber darüber werden wir ein andermal reden. Jetzt will ich Euch von Feruche erzählen.«
    Sioned schloss die Augen, rief sich den verborgenen Eingang vor Augen, die aus dem Stein geschlagenen Gänge, die Windungen und Kurven, die sie sich eingeprägt, aber bislang nicht gebraucht hatte. Am Ende befand sich der obere Gang, der zu Ianthes Gemach führte. Ein Schauder durchlief sie, aber sie hatte keine Angst. Sie fühlte nichts.
    »Sioned …«
    Tobins Wispern ließ ihren Kopf herumfahren, und sie nickte langsam. »Ja. Es wird Zeit, dass ich meine Arbeit hier zu Ende bringe.«
    Sie führte sie in den Schatten unterhalb der Abendsonne weiter, außer Sichtweite des Postens, wo sie beim ersten Mal gefangen genommen worden war. Diesmal machte sie sich deshalb keine Sorgen; ganz Feruche feierte Ianthes vierten Sohn, und die Steine außerhalb des Schlosses waren stumm. Sie bewegte sich um die Mauer bis zu der Stelle,

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