Sonnenlaeufer
Mauer in Trümmern lassen – und weißt du auch, warum? Er glaubt, die Mauern, die ich bauen werde, um die Wüste zu schützen, müssten besser sein als jeder Stein. Ich bin dieses Vertrauen nicht wert. Ich bin überhaupt nichts anderes wert, als zu sterben. Mit einem Schwert im Bauch, so, wie ich andere getötet habe. So, wie ich wieder töten werde.«
Obwohl er eigentlich nicht ständig über seine Umgebung nachdachte, konnte Chay doch den großen Unterschied zwischen diesem müden, fast emotionslosen Grübeln und dem Zorn erkennen, den Rohan bei seiner Ankunft in diesem Sommer gezeigt hatte. Damals hatte er vor Wut und schlechtem Gewissen gekocht, hatte sich in Worte geflüchtet und Chay angefleht, sie anzuhören, und gehofft, dass er ihm vergeben könnte. Aber jetzt hatte er resigniert. Er war ein Mann, der sich selbst von außen beobachtete und wusste, dass es keine Entschuldigung gab – und der auch keine suchte.
»Es hat mir Spaß gemacht, Jastris Armee abzuschlachten. Ich habe es genossen, Ianthe zu vergewaltigen. Ich werde es lieben, Roelstra zu vernichten. Jetzt schau, was das alles aus mir macht.«
»Es macht dich zu einem Mann, wie wir alle es sind«, erwiderte Chay ruhig.
Ein winziges Lächeln zuckte um Rohans Lippen. »Weißt du eigentlich, welche Qual das für jemanden wie mich bedeutet?«
»Du verstehst mich nicht«, sagte Chay und bemühte sich, Worte zu finden. Es war jetzt so wichtig, dass es die richtigen waren. »Du bist wie wir, aber doch anders. Rohan, du hast es versucht. Du hast den Mut zu deinen Träumen – aber die meisten von uns wissen noch nicht einmal, wie man träumt. Du weißt, dass dies nicht die richtige Art zu leben ist, immer dem anderen an die Gurgel zu gehen. Dein Volk vertraut dir, weil es weiß, dass das Schwert nicht deiner Natur entspricht. Es erfordert mehr Mut zu …«
»Danach zu leben, wenn ich es mir nicht selbst ausgesucht habe? Oh, aber ich habe es doch ausgesucht. Ich lebe hervorragend mit dem Schwert in der Hand.«
»Aber wenn das hier vorüber ist, gibt es etwas anderes für dich – und für alle anderen.«
»Ja, natürlich. Ich kann jeden zwingen, alles so zu tun, wie ich es will, und das macht mich zu einem anderen Roelstra. Keinen Deut besser als er, trotz meiner Versprechungen. Ich würde alles tun, um ihn und seine Armee auszulöschen, und ich habe alles getan, um mir einen Sohn zu sichern. Aber es gibt etwas, was ich habe, das er haben wollte und das er nicht bekommen hat. Ich habe meine ganz eigene Lichtläuferin, und ich kann sie benutzen, ohne sie erst mit Dranath an mich binden zu müssen. Sie gehört mir, Chay, genau so, wie Andrade es geplant hatte.« Wieder hob er den Kelch, aber diesmal trank er nicht. »Was gibt mir das Recht dazu?«
Chay hörte Gefühle, die darum kämpften, die ruhige Oberfläche zu durchdringen, und sandte ein kurzes Dankgebet gen Himmel. Ein Rohan, der vorgab, sich verloren zu haben, war ein verlorener Rohan. »Macht erschreckt dich«, murmelte Chay. »Du benutzt sie, aber du freust dich nicht daran, so wie Roelstra es immer getan hat.«
»Und das gibt mir das Recht? Die Tatsache, dass ich ein Feigling bin?«
»Du hörst mir nicht zu.« Chay beugte sich in seinem Sessel vor und sprach schnell, damit Rohan sich nicht wieder in diese gefühllose Hülle zurückziehen konnte. »Mit dir haben wir eine Chance, zu leben. Du bist unsere einzige Hoffnung. Glaubst du etwa, es macht mir Spaß, meinen Sohn im Krieg zu sehen? Gütige Göttin, er ist gerade erst zwölf geworden! Was dich anders macht, ist die Tatsache, dass du all das hier hasst! Du fürchtest die Macht und hast Angst, du könntest sie nicht klug nutzen – auch Sioneds Macht. Und sie ist genauso wie du! Das macht euch zu dem Prinzen und der Prinzessin, die wir brauchen! Glaubst du denn, sie hat keine Angst vor ihrer Macht?«
Rohan zuckte zusammen. »Ich habe meinen Sohn im Feuer gesehen. Ich kann ihn nicht verleugnen – ganz gleich, wer seine Mutter ist.«
»Wenn Sioned genug Mut aufbringt, ihn anzunehmen, kannst du es dann nicht dabei bewenden lassen, ihn als deinen und ihren zu akzeptieren, nicht als Ianthes?«
»Ich soll so tun, als wäre er nicht das Ergebnis einer Vergewaltigung?« Rohan schüttelte verbittert den Kopf. Im Licht der Lampe hing sein blondes Haar schlaff und matt um seinen Kopf. »Es geht nicht bloß um Ianthe. Ich würde den Enkel des Hoheprinzen großziehen.«
»Rohan, es geht um ein Baby! Was kann ein unschuldiges, kleines Kind schon
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