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Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
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auf dem Spitalstieg, mit dem schlingernden Schatten, so nah, dass ich beinahe seinen Rand überfuhr.

    Du gingst fort, und ich wandelte manchmal auf unseren Spuren in der hochsommerlichen Stadt, die leer war, weil du fort warst, und es war gerade mal so warm, dass ich alle Tage den blaugrauen Anorak aus dem Scout-Geschäft trug, den du so fürsorglich und entschlossen für mich ausgesucht hattest wie ein grauhaariger Liebster. Und jetzt bist du nicht nur grauhaarig, sondern für immer zurückgekommen, mit einer orangefarbenen Betonmischtrommel, die sich in deinem Garten niedergelassen hat.

    Erst machtest du eine kurze, dann eine lange Reise. Du erfuhrst nie etwas über DAS NACHSPIEL, das Nachspiel mit meinen Töchtern im Skipasund und in Kopenhagen, endlose Spätwintermonate in der Ehe, Nachtschichten auf Krankenstationen, die Scheidung, und du erfuhrst nichts über das Leben Nummer zwei in der Sjafnargata mit fortwährenden Zimmerrenovierungen, mit Mummi und seinen Freunden und Ragnhild. Du kanntest mich trotzdem zu allen Zeiten, weil du nichts vergaßest – das Kennen beruht darauf, nichts zu vergessen. Und nichts über eine Person zu erfahren, nachdem sie unkenntlich geworden ist.
    Wir kennen uns ganz, vollständig, du und ich
    wie die allein
    die sich nie mehr trafen
    Stunden- und jahrzehntelang.
    Wie die allein,
    die nicht auf der Stelle
    alles vergaßen
    und nichts wussten

    von Nachspiel
    und Nachspiel.

Innerlich war ich davon überzeugt, dass es keinen Ausweg aus der Sjafnargata mehr gab, dass ich mal schneller, mal langsamer durch die Zimmer irren würde, bis man mich tot oder im Koma auf irgendeinem Fußboden fände. Deswegen war ich die erste Zeit im Skipasund irgendwie durcheinander, ich hatte das Gefühl, als sei ich von mir selbst weggezogen.

    Es heißt, dass Frauen sich die Männer aussuchen, aber in meinem Fall traf das nicht zu. Der Vater meiner Töchter wollte mich unbedingt haben, und ich war irgendwie so benommen, dass ich es über mich ergehen ließ. Irgendjemand musste mich ja auch aus der Sjafnargata herausholen. Ob er oder irgendein anderer, war egal, und wozu warten. Ich war auch schon achtzehn.
    Ein guter Mann, glaube ich. Zumindest ein guter Vater. Im lethargischen Dämmer der Tage ermahnte ich mich manchmal, dankbar zu sein, anderes war ja eigentlich belanglos.

    Ich ging schläfrig durch die Zeit mit diesem Mann, auch schon bevor ich die Nachtschichten übernahm, vorwärtsgeschleift von meinen lächelnden kleinen Töchtern, und es machte Spaß, wie sie sich ausdrückten, wie sie die Arme um den Hals der Mutter schlangen. Da war eine verborgene Freude in mir, ihnen etwas geben zu können, was ich selbst nicht direkt besessen hatte, dass ich wirklich ihre Mutter sein konnte.

    Im Skipasund war das Elternhaus des Mannes. Seine Mutter zog ins Souterrain, als ich kam, damit sich das junge Paar in der oberen Etage ausbreiten konnte, mit einem Glasschrank im Wohnzimmer, mit Plüschsofa und einer großen Stehlampe. Ich übernahm die Keramikvögel im Glasschrank und fand einen Überwurf für das Sofa. Ich betrachtete das Wohnzimmer als mein Zimmer und nistete mich auf dem Sofa ein. Dort wurde David Copperfield gelesen, Schuld und Sühne, Die Nesseln blühen, Weltlicht, Die Steine reden, Gösta Berling, Am Gletscher, und zwischendurch lehnte ich mich mit den Kreuzstichkissen unter dem Kopf zurück, auch schon bevor ich schwanger wurde.
    Die Mutter im Keller kochte jeden zweiten Tag für uns, räumte manchmal bei uns auf und übernahm etwas von der Wäsche. Ich war so fasziniert von diesem ungewöhnlichen Verhalten einer Mutter, dass ich das Zusammenleben mit dem Sohn im Grunde genommen zunächst gar nicht mitbekam. Es dauerte aber nicht lange, bis mich jegliche Art von Fürsorge auf die Palme brachte. Manchmal rannte ich aus dem Haus und raste wie wild geworden kreuz und quer durch das Viertel und schwitzte. Ging anschließend ins Schwimmbad und in die Sauna und schwitzte noch mehr.
    Der Vater meiner Töchter kaufte meist zum Essen ein und kochte manchmal. Er kümmerte sich nicht weniger um den Haushalt als ich. Wenn Mummi mit einer Rose oder sonst einer Kleinigkeit zu seiner Schwester kam, machte der Mann sich unverzüglich nützlich, kaum hatte er die Schwelle überschritten. Meist kochte er etwas Kompliziertes, und zwar so reichlich, dass die wunderbaren Reste für viele Tage reichten. Ich fing an, ihn die Küchenfee zu nennen.
    Es kam mir so vor, als hätte sich ein ganzes Heer von

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