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Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
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Tassen mit heißer Schokolade bei Nellí in der Grettisgata machte ich die Runde durch Grünen Salon, Esszimmer und Bücherzimmer und suchte eine Vase für Nellí aus, damit sie nicht mehr Marmeladengläser für ihre Blumen verwenden musste. Ich nahm die kleine veilchenblaue aus dem Bücherzimmer. Sie war bauchig, hatte einen engen Hals und weitete sich dann wieder – unwahrscheinlich, dass Das Ehepaar sie vermissen würde, denn für Sicherheitsnadeln und Gummibänder kam sie eigentlich nicht in Frage.
    Ich verstaute die Vase in meinem Schulranzen und begab mich auf eine Expedition. Nellí hatte sich zwar Besuche verbeten, weil sie in dieser Woche nicht zu Hause sein würde, aber ich war mir ziemlich sicher, sie noch zu erwischen, wenn ich mich sofort auf den Weg machte.

    In Nellís Hinterhof sausten lärmende Drosseln hin und her. Diese Hektik bei den Vögeln war abstoßend, und ich wäre am liebsten geflüchtet. Aber ich kämpfte mich bis zur Haustür vor, angestrengt keuchend, obwohl ich mich nicht beeilt hatte.
    Nellís blaukarierte Gardinen waren zugezogen. Ich klopfte trotzdem an, sogar zweimal, und blieb zögernd vor der schiefenEingangstür stehen. Die Drosseln ließen sich plötzlich auf der Wäscheleine nieder und zwitscherten immer noch so laut, dass mir der Kopf zu platzen drohte.
    Da die Gardinen zugezogen waren und niemand zur Tür kam, musste Nellí wohl weg sein. Hoffentlich hatte sie nicht vergessen abzuschließen. Ich fasste an die Klinke, um das zu kontrollieren. Die Tür gab nach, und in das Dämmerlicht drinnen fiel eine schmale Ritze Licht.
    Ich bekam es mit der Angst und schloss die Tür gleich wieder. Meine Füße gehorchten mir nicht, als ich ihnen befahl wegzulaufen, deswegen stand ich weiter vor der Tür herum.
    Ich hatte einen seltsamen Geruch wahrgenommen. Vielleicht war eine Katze eingedrungen und hatte drinnen ihr Geschäft verrichtet. In dem Fall musste geputzt werden, und außer mir war niemand da, der das tun konnte. Nellí konnte auch mit Darmverschlingung daniederliegen, falls sie wieder einmal Gras gefressen hatte, und völlig hilflos sein, diese
Alleinstehende.
Ich wusste, dass sie das war, denn Halla im Milchladen hatte den Kindern die Leviten gelesen, weil sie ihren Spott mit dieser alleinstehenden Frau trieben. Niemand würde nach ihr sehen, wenn ich es nicht täte, denn Dór hatte man weggeholt.
    Einen Augenblick dachte ich daran, Halla zu Hilfe zu holen. Aber das war natürlich Blödsinn, wie Mummi gesagt hätte, Blödsinn, als ich darüber nachdachte. Halla konnte doch nicht den Laden unbeaufsichtigt zurücklassen.
    Ich weiß nicht, wie lange ich wie angewurzelt vor Nellís Tür stand. Schließlich beschimpfte ich mich lauthals und fauchte: Willst du hier vielleicht den ganzen Tag einfach nur herumhängen, du dummes Ding!
    Ich stieß die Tür auf und trat über die Schwelle. Ganz hinten im Zimmer, in der Ecke, wo der Herd stand, hing etwas Großes von der Decke herunter. Ich musste bei dem dämmrigenLicht eine ganze Weile hinstarren, um zu erkennen, was das war. Eine Riesenpuppe in Nellís Sonntagskleid.
    Ich knallte die Tür hinter mir zu und rannte in Richtung Sjafnargata. Ich war schon fast dort, aber dann änderte ich plötzlich die Richtung und lief geradewegs zum Milchladen. Das Ehepaar wäre nämlich keine Hilfe gewesen, selbst wenn die beiden zu Hause gewesen wären.
    Bei Halla sprudelte es aus mir heraus, dass ich nichts kaufen wollte, aber man müsste vielleicht die Polizei anrufen, denn irgendwelche gemeinen Kinder, darunter bestimmt Lísa, wären bei der alleinstehenden Nellí in der Grettisgata eingebrochen und hätten einer riesengroßen Puppe Nellís Sonntagskleid angezogen und sie an die Decke gehängt, um Nellí zu erschrecken, wenn sie zurückkäme.
    Halla sah mich streng an.
    Danke, dass du mir Bescheid gesagt hast, sagte sie.
    Sie gab mir ein Stückchen Blätterteiggebäck und bat mich, schleunigst nach Hause zu laufen, damit meine Mama sich nicht meinetwegen beunruhigen müsste.
    Meinetwegen beunruhigt sie sich nie.
    Darauf entgegnete Halla nichts. Sie, sonst immer die Ruhe in Person, war auf einmal etwas hektisch. Ich verzog mich mit meiner Beute und fand es ein bisschen schade, dass ich mich an dem Tag gar nicht mit ihr unterhalten konnte.
    Am nächsten Tag behaupteten die Kinder in der Schule, dass Nellí tot war. Sie hätte sich erhängt.
    Ich sagte ihnen, sie sollten mit dem Blödsinn aufhören, da hätte eine Puppe in ihrem Kleid gesteckt.

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