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Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
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Nellí sei aufs Land gefahren.
    Aber die Kinder waren hässlich und gemein, und Lísa nannte Nellí Hängedrossel statt Schnapsdrossel. Ich fing an zu weinen und sagte, ihr gemeinen Biester. Lísa trällerte aufreizend und bedrohlich, selber Biest, selber Biest und zeigtemit dem Finger auf mich, und dann trat mich jemand, und ich fiel hin. Noch mehr Kinder traten nach mir und trafen mich überall, auch am Kopf und im Bauch.

    Kurze Zeit später erschien ein Nachruf in der Zeitung auf eine Frau, die
Nellí Rósa Hjartardóttir
hieß. Die Kinder behaupteten, das sei Nellí in der Grettisgata. Das stimmte natürlich nicht, denn die hieß bloß Nellí und nicht Nellí Rósa. In dem Artikel stand auch, dass die Verstorbene eine Arme Schluckerin gewesen sei, das passte ebenfalls nicht zu Nellí. Sie war eine Alleinstehende.
    Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein, stand auch in diesem Nachruf. Konnte es sein, dass irgendwelche gemeinen Kinder diese Nellí Rósa, die gestorben war, mit Steinen beworfen hatten, genau wie die Nellí, die ich kannte?
    Ich stellte eine Liste von Hauptsünden zusammen und hängte sie bei mir an die Wand.

    HAUPTSÜNDE Nr. 1:
Zopfdiebstahl
    HAUPTSÜNDE Nr. 2:
doppelte Arbeit
    HAUPTSÜNDE Nr. 3:
Steinewerfen auf diese Alleinstehende und auch auf die Arme Schluckerin

    Ich klopfte nie wieder am Hinterhaus in der Grettisgata an, das keine Behausung für Menschen war, sondern für Ratten. Fest stand, dass Nellí nicht von ihrer Reise zurückkehren würde. Sie hatte mir das bloß nicht sagen wollen, um mich nicht traurig zu machen. Möglicherweise hatte sie es sich aber auch einfach anders überlegt, nachdem sie in diesem Fjord angelangt war – sie hatte sich vielleicht spontan entschlossen, dort zu bleiben, obwohl das ursprünglich nicht ihre Absicht gewesen war. Das war sogar sehr wahrscheinlich, denn sonst hätte sie ja ihr Sonntagskleid mitgenommen.
    Fest stand jedenfalls, dass Nellí ihre Meinung geändert hatte; wie sie selber sagte, es war vorbei. In Erwachsenenbüchern hatte ich über ähnliche Fälle gelesen. Es handelte sich ganz bestimmt um ein sogenanntes neues Leben, das sie jetzt begonnen hatte. Vielleicht war ihr mit Hilfe des Herings eine gute Reinkarnation widerfahren, und sie war glücklicher als irgendetwas aus Büchern, weil die pummelige Tochter, die kleine Dór, wieder bei ihr war, mit Zöpfen, die das Exil überlebt hatten.
    Es lag klar auf der Hand, dass Nellí Akkord-Königin in ihrem Fjord werden würde, wo sie sich doch so gut mit doppelter Arbeit auskannte. Nach der ersten Lohnauszahlung würde sie als Erstes ein größeres Bett und eine große Daunendecke für Dór kaufen, die natürlich während der Abwesenheit gewachsen war. Damit nicht genug, Nellí würde ihr Kind auch jeden Abend zudecken und in den Schlaf singen, obwohl man so etwas eigentlich eher bei Säuglingen machte.
    Dór war sehr begütert bei ihrer Mutter in dem grünen Haus. Außer dem neuen Bett und der neuen Decke und der blau bezogenen Schachtel mit ihrem gestickten Namen, DÓR, besaß sie unter anderem dreiundvierzig Kinderbücher, und zwar alle mit Einband, zwei ausgestopfte Regenbrachvögel, ein neues Fahrrad und einen Goldfisch in der Farbe von etlichen changierenden Nagellacken.
    Ich konnte nicht umhin, sie zu beneiden, vor allem um die Regenbrachvögel, und deswegen war ich teilweise manchmal richtig sauer auf sie. Dann wurde gebrummelt:
Dór Por Spinkelrohr
und andere hässliche Dinge, sodass man nachher Gott um Verzeihung bitten musste. Aber egal ob er verzieh – kein richtig braves Mädchen würde Por Spinkelrohr über ein anderes Kind sagen, das einstmals seiner Mutter so gründlich weggenommen worden war, dass sogar sein Bett einkassiert wurde.

    Ich sehnte mich nach einer Freundin. Es war mein Glück, dass ich Dór hatte, obgleich die Entfernung zwischen uns groß war. (Es hatte sich wie von selbst ergeben, dass Mummi und ich keine Freunde besaßen; Kinder verstehen sich darauf, keine Freunde zu haben, wenn es nicht geht.) Dór folgte mir, unveränderlich, jahraus, jahrein und lauschte geduldig, wenn ich ins Telefon plapperte.
    Ja, mir war zwar klar, dass sie es manchmal in dem kleinen grünen Haus bei ihrer Mutter beengt fand, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und natürlich der Speicher, aber schön war es bestimmt, im gleichen Zimmer wie die Mutter schlafen zu dürfen.
    Sie hatte aber das Glück, dass in zwei Zimmern und Küche viel weniger die Gefahr doppelter Arbeit

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