Sonnenscheinpferd
bestand als in acht Zimmern und Küche. Plus Badezimmer und Toilette. Sie brauchte nicht zu glauben, dass es eitel Freude und Sonnenschein war, eine Badewanne zu haben, denn es dauerte lange, so eine riesige Wanne mit Scheuerpulver zu schrubben, wenn man es ordentlich machen wollte, die Wasserhähne mussten glänzen, hinzu kamen noch zwei große Waschbecken, und zum Schluss taten einem die Hände weh. Und wäre da nicht diese schreckliche Badewanne gewesen, hätte man eher Zeit gehabt, um
Mama versteht alles
zu lesen, oder etwas über Glück, aber darüber stünde wohl eher etwas in den Erwachsenenbüchern.
Ich sagte meiner Freundin, sie solle nicht traurig darüber sein, dass sie ein Einzelkind war. Es sei nämlich ziemlich zeitraubend, morgens etwas zum Anziehen für den kleinen Bruder zu finden, bevor man in die Schule ging; vor allem bei kaltem Wetter, dann mussten Gamaschen her, und Fäustlinge durften auf keinen Fall fehlen, denn sonst bekäme er auf dem Weg zum Kindergarten kalte Finger und finge an zu brüllen, und die Frauen würden einen immer so schief angucken,dass man auf dem Weg zur Schule selber anfinge zu heulen, und man bekäme vielleicht auch selber eiskalte Finger, obwohl man schon so groß war.
Dór war häufig krank, wenn ich mit ihr telefonierte. Dann war ihre Mutter noch aufmerksamer zu ihr als sonst. Die Wäsche im neuen Bett wurde sogar außerhalb der Reihe gewechselt, wenn Dór liegen bleiben musste, was erstaunlich oft vorkam. Auf der anderen Seite ging es aber beim Heringeinsalzen hoch her, es pressierte nämlich enorm, den Hering vor dem Vergammeln zu bewahren und möglichst viel Geld zu verdienen, deswegen konnte Nellí sich nicht freinehmen, auch wenn Dór daniederlag. Aber sie schaffte es meistens, in der Mittagspause nach Hause zu laufen und ihrem kranken Mädchen Cremeschokolade und Malzbier zu bringen.
Seltsamerweise schickte mich der Liebste auch einmal ins Bett, als ich seiner Meinung nach Fieber hatte, und zwar justament mit Cremeschokolade und Malzbier. Das kam so unerwartet für mich, dass ich mich verplapperte und Dór erwähnte. Ich flunkerte mich schleunigst wieder aus diesem brenzligen Thema heraus, bass erstaunt, wie rasant mir Lügen über die Lippen kamen. Bis dahin war ich ohne diese Eigenschaft ausgekommen. Ein Sjafnargata-Kind brauchte nicht zu lügen; kein Erwachsener achtete auf das, was es sagte, ob wahr oder erlogen.
Ich weiß inzwischen, wer sie ist, diese Tochter von Nellí. Sie ist mit einem Tschechen verheiratet, der Cello spielt, mein Lieblingsinstrument, ich weiß, dass die beiden sich genau an dem Ort meiner Träume niederließen, in einem Haus mit einem Lavagarten in Hafnarfjörður. Dort habe ich noch etwas zu erledigen, und jetzt drängt die Zeit; ich muss Dór von ihrer Mutter erzählen, die in der Grettisgata ein Fest für michveranstaltete und mir die Wange streichelte; ich muss etwas über die Schachtel mit dem Namen aus nachtblauem Garn erfahren, denn ihre Mutter hatte ihn bestimmt noch fertig gestickt, bevor sie starb. Die Vorstellung, dass diese Schachtel nie in die Hände des Kindes mit den Zöpfen gelangt sein könnte, machte mir manchmal zu schaffen.
Als mit einem Liebsten der
Ernst des Lebens
begann, hörte ich auf, mit Dór zu sprechen. Trotzdem schrieb ich ihr, als ich mit dem Liebsten Schluss gemacht hatte, den Brief, der sich immer noch in meinem alten Schreibtisch befindet.
DÓR HARALDSDÓTTIR
GRÜNES HAUS
SIGLUFJÖRÐUR
ÍSLAND
Liebe Dór,
wir sind wohl im gleichen Alter, und ich hoffe, dass Du inzwischen einen Freund hast, auch wenn ich keinen mehr habe. Ich habe eines Tages im Café Mokka Schluss mit ihm gemacht.
Ich mache mir Sorgen, wie ich aus der Sjafnargata wegkommen soll, jetzt, wo er nicht mehr da ist, um mich von dort wegzuholen.
Nun ist es mir vielleicht bestimmt, tot in irgendeinem Zimmer gefunden zu werden, und es könnte eine Weile dauern, gefunden zu werden, aber das sollte ich bestimmt nicht laut sagen.
Ich wünsche Dir alles Gute, und ich glaube fest an Dein Glück. Mein eigenes habe ich von mir gestoßen, und ich werde in künftigen Zeiten wohl kaum darüber stolpern.
In alter Freundschaft
Deine Lí
Du schwiegst, als ich die Worte im Mokka ausgesprochen hatte. Ich sah dich nicht an und habe deshalb nie erfahren, wie du darauf reagiertest. Du trankst deinen Kaffee nicht aus. Ich blickte auf, als du die Tür öffnetest, und sah dir nach. Als ich dich das nächste Mal sah, war es deine Rückansicht
Weitere Kostenlose Bücher